Flüchtig!
bis die Bäume Früchte trugen, aber wenn es so weit war, besaß er die größte Cherimoya-Plantage der Vereinigten Staaten. Und in dieser Zeit reiste er umher, sprach mit den Vertriebsfirmen über seine neue Frucht und berichtete ihnen von den Wundern, die in Kürze auf seinen Plantagen heranreifen würden.
Es muß ein schwieriger Kampf gewesen sein, denn der Geschmack der amerikanischen Öffentlichkeit ist alles andere als auf Abenteuer ausgerichtet. Im ganzen gesehen essen wir vergleichsweise wenig Obst.
Und das, was wir essen, ist uns seit Jahrhunderten vertraut. Die Tomate wurde sehr lange Zeit für giftig gehalten, die Aubergine rief angeblich Wahnsinn hervor. Das sind nur zwei Beispiele. Es gibt zahlreiche andere herrlichste Früchte, die in diesem Klima wachsen könnten, aber ignoriert werden.
Immerhin, Garland war hartnäckig, und es begann sich auszuzahlen.
Er erhielt viele Bestellungen, so daß er den größten Teil seiner Ernte praktisch im voraus verkauft hatte. Wenn die Cherimoya erfolgreich gewesen wäre, hätte er den Markt für diese besondere Delikatesse beherrscht und wäre ein reicher Mann geworden. Natürlich wären früher oder später die großen Gesellschaften eingestiegen und hätten alle anderen überboten, doch bis dahin hätte es Jahre gedauert, und seine Erfahrungen wären späteren Pflanzern sicherlich viel Geld wert gewesen.
Fast ein Jahrzehnt nachdem er sich dazu entschlossen hatte, reifte die erste Ernte heran - und das allein war schon eine gewaltige Leistung. In ihrer heimischen Umgebung nämlich wird die Cherimoya von einer dort ebenfalls heimischen Wespenart befruchtet. Um diesen Prozeß nachzuahmen, muß man die Blüten mühsam mit der Hand befruchten - das heißt, die Pollen von einer Blüte müssen auf den Stempel der anderen aufgetragen werden. Dabei ist die Tageszeit von Bedeutung, da die Pflanze einem Fruchtbarkeitszyklus unterworfen ist. Garland hat die Bäume gehätschelt und gepflegt, als ob es menschliche Babys gewesen wären.«
Maimon nahm die Brille ab und putzte sie. Seine Augen waren dunkel und ruhig.
»Zwei Wochen vor der ersten Ernte kam ein tödlicher Frost mit der kalten Strömung von Mexiko herauf. Eine Serie tropischer Wirbelstürme hatte in der Karibik gewütet, und ein in diesen Breiten ungewöhnlicher Temperatursturz war die Folge. Die meisten Bäume erfroren über Nacht, und die wenigen, die überlebten, warfen die fast reifen Früchte ab. Man unternahm hektische Versuche, zu retten, was zu retten war. Einige von den Leuten, die ich in Florida traf, waren damals hiergewesen, um zu helfen. Sie beschrieben die Szene so: Emma und Garland rannte mit Kohlepfannen und Decken durch die Plantage und versuchten die Bäume einzuwickeln, den Boden anzuwärmen und alles zu tun, um die Cherimoya zu retten. Das kleine Mädchen schaute zu und heulte. Sie kämpften drei Tage, doch es war aussichtslos. Garland war der letzte, der es einsah.«
Er schüttelte traurig den Kopf.
»Jahre der Arbeit, in siebzig Stunden vernichtet. Danach zog er sich zurück und wurde zum Einsiedler.«
Es war eine klassische Tragödie: hochfliegende Pläne, vom Schicksal durchkreuzt. Die Agonie der Hilflosigkeit. Eine Verzweiflung, die kein Ende hatte.
Allmählich begann ich zu begreifen, was Woodys Diagnose für sie bedeutet haben mochte.
Krebs bei Kindern war stets eine Ungeheuerlichkeit, für alle betroffenen Eltern eine herzzerreißende Konfrontation mit einem Gefühl der Ohnmacht, dem Bewußtsein, nichts dagegen tun zu können. Aber bei Garland und Emma Swope vervielfachte sich das Trauma, rief die Hilflosigkeit angesichts der Krankheit ihres Kindes eine verdrängte, aber nicht vergessene Vergangenheit zurück. Vielleicht hatte die Verzweiflung einen Grad erreicht, in dem sie unerträglich wurde…
»Ist das alles bekannt?«
»Zumindest bei denen, die hier schon eine Weile leben.«
»Wissen es auch Matthias und die Leute von seiner Sekte?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Sie sind vor ein paar Jahren zu uns gekommen. Vielleicht haben sie es herausgefunden, vielleicht auch nicht. Man spricht nicht darüber, verstehen Sie.«
Er lächelte die Kellnerin an und bestellte eine Kanne Kräutertee. Sie brachte ihn, dazu zwei Tassen, und schenkte ein.
Er trank einen Schluck, stellte seine Tasse ab und schaute mich durch den Dampf an.
»Sie verdächtigen immer noch die Berührer«, sagte er.
»Ich weiß nicht«, räumte ich ein. »Eigentlich gibt es keinen plausiblen Grund dafür.
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