Flüchtig!
namens Jaroslav, der diese selbsterhaltenden Tricks auf der Flucht vor den Nazis entwickelt hatte. Ich ließ mich in der ersten Woche nach der Casa-delos-Ninos-Affäre von ihm beraten, als mich die Drähte in meinem Kiefer hilflos machten und Alpträume zu meinen häufigsten Besuchern zählten. Die Diät, die er mir verpaßte, half mir, die Dinge dort zu flicken, wo es am nötigsten war: in meinem Kopf.
Und jetzt sagte ich mir, daß ich bereit war für alles, was sich ein Richard Moody für mich ausgedacht haben mochte.
Ich wollte mich gerade zum Abendessen in einem Restaurant ankleiden, als sich mein Auftragsdienst meldete.
»Guten Abend, Doktor D. hier spricht Kathy.«
»Hallo, Kathy.«
»Tut mir leid, Sie zu stören, aber ich habe eine Beverly Lucas an der Strippe. Sie meint, es sei sehr wichtig.«
»Stellen Sie durch, bitte.«
»Okay. Und noch einen netten Abend, Doc.«
»Ihnen auch.«
Das Telefon zischte und knackte, als sie umschaltete.
»Bev?«
»Alex? Ich muß mit Ihnen sprechen.«
Im Hintergrund war laute Musik zu hören - ein Schlagzeug-Synthesizer, kreischende Gitarren und ein laut stampfender Baß. Ich konnte sie kaum verstehen.
»Was gibt’s?«
»Kann hier nicht sprechen - benütze den Apparat an der Bar. Haben Sie etwas vor?«
»Nein. Von wo sprechen Sie?«
»Vom Unicorn. Das ist in Westwood. Bitte, ich muß mit Ihnen reden.« Es hörte sich an, als ob sie sehr nervös wäre, aber bei dem lauten Hintergrund war es nicht mit Sicherheit festzustellen. Ich kannte das Lokal, eine Kombination aus Bistro und Diskothek (Bisko?), vorwiegend für Singles aus den oberen Schubladen. Einmal hatten Robin und ich nach dem Kino auf einen Bissen dort vorbeigeschaut, waren aber gleich wieder gegangen, weil wir das Ambiente als zu eindeutig und aufreißerisch empfunden hatten.
»Ich wollte gerade zum Abendessen fahren«, sagte ich. »Können wir uns irgendwo treffen?«
»Wie war’s gleich hier? Ich lasse meinen Namen auf die Liste der Tischbestellungen setzen, dann ist es vermutlich gerade so weit, wenn Sie hier sind.«
Ein Abendessen im Unicorn war keine sonderlich verlockende Aussicht - der Geräuschpegel war dazu geeignet, die Verdauungssäfte zum Versiegen zu bringen -, aber ich versprach ihr, in einer Viertelstunde dort zu sein.
Der Verkehr im Village war ziemlich dicht, daher kam ich mindestens zwanzig Minuten zu spät. Das Unicorn war ein Paradies des Narzißmus: Jede glatte Fläche, vom Boden abgesehen, war mit Spiegeln bepflastert. Farne hingen in Ampeln von der Decke, dazwischen ein Dutzend nachgemachte Tiffany-Lampen, außerdem hatte man hier und da etwas Messing und Holz angebracht, aber die Spiegel dominierten.
Auf der rechten Seite war ein kleines Restaurant, zwanzig Tische, mit papageiengrünem Damast gedeckt; auf der linken befand sich hinter einer Glasscheibe die Disko, wo Paare und Einzelpersonen zu einer Live-Band tanzten. Die Glasscheiben vibrierten. Dazwischen befand sich der Barraum. Und selbst die Theke war mit Spiegel verglast; der untere Teil spiegelte modisches Schuhwerk wider.
In der Bar war es schummerig und voll. Ich zwängte mich durch die Menge, war von verdreifachten und vervierfachten lachenden Gesichtern umgeben und konnte kaum noch sagen, was Wirklichkeit und was Illusion war. Ein vergnügtes Irrenhaus.
Sie saß an der Bar neben einem breitschultrigen Kerl, der ein enganliegendes Turnhemd trug. Er beschäftigte sich wechselweise damit, Bev anzumachen, Bier zu trinken und die Menge nach anderen aussichtsreicheren Objekten durchzukämmen. Sie nickte ihm von Zeit zu Zeit zu, war aber offenbar mit den Gedanken woanders.
Ich bahnte mir mit den Ellbogen einen Weg zu ihr. Sie starrte auf ein hohes Glas mit einer schaumigen, rosafarbenen Flüssigkeit, viel kandierten Früchten und einem Papierschirm. Mit der einen Hand drehte sie den Schirm.
»Alex.« Sie trug ein zitronenfarbenes Danskin-Oberteil und dazu passende Jogging-Shorts aus Satin. Von den Knöcheln bis zum Knie reichten ihre gelb und weiß gestreiften Beinwärmer, die farblich mit den Laufschuhen abgestimmt waren. Und sie hatte viel Make-up und viel Schmuck an sich; bei der Arbeit war sie mit beidem eher zurückhaltend. Ein glitzerndes Schweißband hielt das Haar aus der Stirn. »Danke, daß Sie gekommen sind.« Sie beugte sich herüber und küßte mich auf den Mund. Ihre Lippen waren warm. Der Mann mit dem Turnhemd stand auf und ging.
»Der Tisch ist bestimmt schon bereit«, sagte sie.
»Sehen wir nach.«
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