Flüchtig!
oder?«
»Wer weiß?«
Sie wand sich, als ob ihre Kleidung zu eng wäre, winkte dem Kellner und bestellte dann einen Bananenlikör. Als er serviert war, nippte sie daran und tat so, als wäre sie völlig entspannt, aber in Wirklichkeit fühlte sie sich unbehaglich und war offensichtlich wieder sehr nervös.
Sie stellte das Glas ab und zeigte eine verschwörerische Miene.
»Gibt es sonst noch etwas, Bev?«
Sie nickte, und es schien ihr peinlich zu sein. Als sie sprach, war ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
»Das gehört wahrscheinlich noch weniger zur Sache, aber wenn ich schon am Plappern bin, kann ich auch gleich alles ausspucken. Augie und Nona Swope hatten etwas miteinander. Ich weiß nicht genau, wann es angefangen hat, aber es kann nicht allzu lange her sein. Die Familie ist ja erst vor zwei Wochen in die Stadt gekommen.« Sie zupfte an ihrer Serviette. »Mein Gott, fühle ich mich gemein. Wenn es nicht für den kleinen Woody wäre, hätte ich niemals den Mund aufgemacht.«
»Das weiß ich doch.«
»Ich wollte es schon Ihrem Freund, dem Polizisten sagen, heute vormittag im Motel - er war wirklich sehr nett -, aber ich habe es einfach nicht herausgebracht. Danach habe ich immer wieder darüber nachgedacht, und ich bin es nicht mehr losgeworden. Ich meine, was wäre, wenn es Ihnen vielleicht doch helfen würde, den kleinen Jungen zu finden, und ich aus irgendwelchen Rücksichten schwiege? Aber natürlich wollte ich nicht zur Polizei gehen. Ich dachte, wenn ich es Ihnen sage - Sie wissen, was Sie damit machen müssen.«
»Sie haben völlig richtig gehandelt.«
»Ich wollte, das richtige Handeln würde kein so schlechtes Gewissen bei mir hinterlassen.« Ihre Stimme brach. »Ich wollte, ich könnte sicher sein, daß das, was ich Ihnen sagte, wenigstens Woody hilft.«
»Ich kann nichts weiter tun, als es an Milo weitergeben. Derzeit ist er noch nicht einmal sicher, ob überhaupt ein Verbrechen begangen worden ist. Der einzige, der daran keinen Augenblick lang zweifelt, ist Raoul.«
»Raoul ist sich seiner Sache immer hundertprozentig sicher«, sagte sie wütend. »Und immer bereit, einem anderen im Handumdrehen die Schuld zu geben. Er macht das bei uns allen so, aber Augie ist sein Lieblingssündenbock, seit er bei uns arbeitet.«
Sie grub die Fingernägel der einen Hand in die Fläche der anderen.
»Und jetzt habe ich es noch schlimmer gemacht für ihn.«
»Nicht unbedingt. Milo unternimmt vielleicht gar nichts, oder er entscheidet sich, selbst mit Valcroix zu reden. Aber es ihm völlig egal, was Raoul denkt. Nein, nein, da wird keiner überfahren, Bev, keine Sorge.«
Das war magerer Balsam für ihr schlechtes Gewissen.
»Trotzdem, ich komme mir wie eine Verräterin vor. Augie ist mein Freund.«
»Betrachten Sie es doch so: Wenn die Tatsache, daß Valcroix mit Nona schläft, bei unserem Problem eine Rolle spielt, haben sie es gut gemacht. Wenn nicht, kann er doch wohl ein paar Fragen beantworten. Schließlich ist der Kerl ja nicht völlig schuldlos.«
»Wie meinen Sie das?«
»Nun, nach dem, was ich hörte, ist es bei ihm zur Gewohnheit geworden, mit den Angehörigen seiner Patienten zu schlafen. Früher war es mal eine Mutter, jetzt ist es eine Schwester. Das verstößt zumindest gegen den ärztlichen Ehrenkodex.«
»Hören Sie, was Sie da sagen, klingt furchtbar selbstgerecht«, fuhr sie mich mit hochrotem Gesicht an, »so verdammt anmaßend - wie ein göttliches Strafgericht.«
Ich wollte etwas antworten, doch bevor ich recht merkte, was geschah, war sie aufgestanden, hatte ihre Handtasche gepackt und lief aus dem Restaurant.
Ich nahm meine Brieftasche heraus, warf einen Zwanzigdollarschein auf den Tisch und folgte ihr.
Halb lief sie, halb ging sie auf dem Westwood Boulevard in nördliche Richtung, schwang dabei die Arme wie ein Rekrut und warf sich in den Lärm und das Durcheinander des Villages bei Nacht.
Ich rannte ihr hinterher, holte sie ein und packte sie am Arm.
»Was, zum Teufel, soll das bedeuten, Bev?«
Sie gab keine Antwort, ließ mich aber neben ihr gehen. Das Village erinnerte an diesem Abend mehr als sonst an einen Fellini-Film: müllübersäte Gehsteige, Straßenmusikanten, College-Studenten mit grimmigen Gesichtern, kreischende Scharen von Schülern in übergroßen Kleidungsstücken mit den dazugehörigen teuren Löchern, Radfahrer mit leeren Augen, glotzende Touristen aus den Vorstädten und alle Arten von Herumtreibern.
Wir gingen schweigend bis zum Südrand des
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