Flüchtig!
gar keine Beziehungen zu ihnen gefunden hatten, und kannte die psychischen Schäden, die daraus resultierten und sie im Hinblick auf spätere Partnerschaften schwer belasteten. Dieses süße kleine Ding hatte etwas Besseres verdient.
Als ich sie lange genug beobachtet hatte, um sicher zu sein, daß alles gut funktionierte, brachte ich sie zurück in die Bibliothek. Dort stellte sie sich auf die Zehenspitzen und streckte ihre dünnen Ärmchen nach mir aus. Ich bückte mich zu ihr hinunter und küßte sie auf die Wange.
»Bye, Docka Alek.«
»Bye, Schatz. Wenn du mal mit mir reden willst, brauchst du es nur deiner Mami zu sagen. Sie hilft dir beim Anrufen.«
Sie sagte okay und kroch zurück in den weichen Zufluchtsort zwischen den Schenkeln ihrer Mutter.
Ricky stand allein in der entferntesten Ecke des Raums und schaute zum Fenster hinaus. Ich ging zu ihm hin, legte meine Hand auf seine Schulter und sagte so leise, daß nur er es hören konnte: »Ich weiß, daß du wütend bist, weil du hierherkommen mußtest.«
Er schob die Unterlippe nach vorn, versteifte seine Haltung und verschränkte die Arme vor der Brust. Darlene wollte aufstehen, hielt dabei immer noch April fest, und machte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber ich winkte ihr ab und deutete an, daß sie sitzen bleiben sollte.
»Es muß sehr schwer für dich sein, daß du deinen Dad nicht sehen kannst«, sagte ich.
Er stand aufrecht da wie ein Soldat und versuchte, hart und grimmig dreinzuschauen.
»Ich habe gehört, daß du fortgelaufen bist.« Keine Antwort.
»Das muß ein ganz schönes Abenteuer gewesen sein.«
Der Hauch eines Lächelns huschte über seine Lippen und verschwand wieder.
»Ich weiß ja, daß du kräftige Beine hast, Ricky, aber fünf Meilen, und ganz allein! Eine tolle Leistung.«
Das Lächeln kehrte zurück, blieb diesmal ein wenig länger.
»Hast du etwas Interessantes erlebt oder gesehen?«
»Mhm.«
»Kannst du es mir erzählen?«
Er warf einen Blick auf die anderen.
»Nein, natürlich nicht hier«, beruhigte ich ihn. »Gehen wir in ein anderes Zimmer. Wir können ja zeichnen und spielen wie beim letztenmal. Okay?«
Er hatte die Stirn immer noch in Falten gezogen, kam aber mit.
Mals Büro interessierte ihn, und er umkreiste mehrmals den riesigen, freien Raum, bevor er sich setzte.
»Hast du schon mal ein solches Büro gesehen?«
»Mhm. Im Kino.«
»Ach ja? Was für ein Film?«
»Es war über die Bösen, die die Welt erobern. Sie hatten ein Büro mit Laser und lauter so Zeug. Es hat ausgesehen wie das hier.«
»Das Hauptquartier der Bösen, meinst du?«
»Ja.«
»Glaubst du, daß Mr. Worthy zu den Bösen gehört?«
»Mein Dad hat es gesagt.«
»Hat er dir noch einen Bösen genannt? Oder mehrere?« Er schaute unsicher drein.
»Zum Beispiel mich? Und Doktor Daschoff?«
»Mhm.«
»Verstehst du, warum dein Vater das gesagt hat?«
»Er ist wütend.«
»Das stimmt. Er ist wirklich wütend. Nicht wegen etwas, was du oder April getan hast, sondern weil er nicht will, daß sich deine Mama von ihm scheiden läßt.«
»Ja«, sagte der Junge mit plötzlicher Wildheit, »und es ist verdammt ihre Schuld.«
»Die Scheidung?«
»Ja. Sie hat ihn rausgeschmissen, dabei hat er für das Haus mit seinem eigenen Geld bezahlt.«
Ich ließ ihn sich setzen, nahm dann ihm gegenüber Platz und legte meine Hände auf seine kleinen Schultern, während ich sagte:
»Ricky, es tut mir leid, daß alles so traurig geworden ist für dich. Ich weiß, du möchtest, daß deine Mama und dein Daddy wieder beisammen sind. Aber das wird nicht geschehen. Erinnerst du dich, wie sie immer miteinander gestritten haben?«
»Ja, aber dann haben sie aufgehört und waren glücklich mit uns.«
»Und dann war es schön.«
»Ja.«
»Aber sie haben immer öfter gestritten, und es ist immer schlimmer geworden, und da ist nicht mehr viel Zeit zum Glücklichsein geblieben.«
Er schüttelte den Kopf.
»Eine Scheidung ist etwas Schlimmes«, sagte ich. »So, als ob alles auseinanderbricht.«
Er schaute weg.
»Es ist okay, wenn du wütend bist, Ricky. Ich wäre auch wütend, wenn sich meine Eltern scheiden ließen. Aber es ist nicht okay, wegzulaufen, weil einem dabei nur etwas passieren kann.«
»Mein Dad kümmert sich schon um mich.«
»Ricky, ich weiß, daß du deinen Dad sehr liebst. Das ist richtig so, denn ein Daddy ist nun mal etwas Besonderes. Und er sollte auch mit seinen Kindern beisammensein, selbst wenn er geschieden ist. Ich hoffe, euer Dad
Weitere Kostenlose Bücher