Flüchtig!
Geräusch einer Schreibmaschine und ging darauf zu, wobei meine Schritte auf dem leeren Korridor hallten.
In einem muffigen Raum voller Aktenschränke und Karteikästen aus Eichenholz saß eine Frau und tippte auf einer Royal-Maschine. Sie und ihr Arbeitsgerät schienen etwa aus demselben Jahrgang zu stammen. Ein elektrischer Ventilator auf einem der Schränke wirbelte die Luft um und ließ die Haarspitzen der Frau erzittern.
Ich räusperte mich. Sie schaute erschreckt hoch, lächelte dann, und ich fragte sie, wo ich das Büro des Sheriffs finden könne. Sie wies mich zu einer Treppe hinter der Eingangshalle, die in den ersten Stock führte.
Am oberen Ende der Treppe befand sich ein kleiner Gerichtssaal, der den Eindruck erweckte, als ob er schon seit langem nicht mehr benutzt worden wäre. Auf einem limonengrünen Schild prangte in glänzendem Schwarz das Wort SHERIFF, und der Pfeil darunter zeigte nach rechts. Das Hauptquartier der Polizeibehörde von La Vista war in einem kleinen, dunklen Raum untergebracht, der zwei Schreibtische aus Holz, eine unbesetzte Telefonzentrale und ein stummes Telexgerät enthielt. An der einen Wand hing die Landkarte des Countys. Plakate mit den Fotos oder Phantomzeichnungen gesuchter Verbrecher und ein gut bestückter Gewehrständer rundeten das Dekor ab. In der Mitte der hinteren Wand befand sich eine Metalltür mit einer sicherheitsverglasten Luke im Format von etwa fünfzehn mal fünfzehn Zentimeter.
Der Mann in der beigefarbenen Uniform, der an einem der Schreibtische saß, kam mir für einen Sheriff oder Deputy zu jung vor: rosige Hamsterbäckchen und arglose Haselnußaugen unter buschigen, braunen Brauen. Aber er war der einzige hier, und auf seinem Namensschild an der Brusttasche stand ›Deputy W. Bragdon‹. Er las in einer landwirtschaftlichen Fachzeitschrift, und als ich eintrat, blickte er auf und starrte mich in der typischen Manier der Polizeibeamten an: wachsam, analytisch und voll Mißtrauen.
»Ich bin Doktor Delaware. Ich soll Doktor Melendez-Lynch abholen.« W. Bragdon stand auf, schnallte sich das Revolverhalfter um und verschwand durch die Metalltür. Kurz darauf kam er zurück mit einem Mann in den Fünfzigern, der aus einer Remington-Reklame gesprungen sein konnte.
Er war nicht sehr groß und hatte O-Beine, aber breite Schultern und einen muskulösen Körper. Sein Gang erinnerte an einen Boxer im Bantamgewicht. Seine Hose mit der rasiermesserscharfen Bügelfalte bestand aus dem gleichen beigefarbenen Stoff wie die Uniform des Deputys, sein Hemd dagegen war grünkariert und hatte Perlknöpfe an der Vorderfront. Auf seinem länglichen Kopf ruhte ein schneidiger, breitkrempiger Stetson. Der Eindruck einer gewissen Eitelkeit wurde durch die Maßanfertigung seiner Kleidung bestätigt: Hemd und Hose waren so geschnitten, daß sie seinem muskulösen Körperbau schmeichelten.
Das Haar unter dem Hut war graubraun und kurz und reichte bis an die niedere Stirn. Seine ausgeprägten Gesichtszüge wirkten etwas vogelartig. Ein dichter, grauer Schnauzbart hing buschig unter der kräftigen Hakennase.
Meine Aufmerksamkeit richtete sich auf seine ungewöhnlich großen, kräftigen Hände. Die eine ruhte auf dem Kolben eines langläufigen 45er Colts, der in einem handgefertigten Halfter steckte, die andere streckte er mit entgegen.
»Doktor«, sagte er mit tiefer, angenehmer Stimme, »Sheriff Raymond Houten.« Sein Händedruck war fest, aber er übertrieb nicht dabei - ein Mann, der sich seiner Kraft wohl bewußt war.
Er wandte sich an Bragdon. »Walt.« Der Deputy mit dem Babygesicht musterte mich noch einmal und kehrte an seinen Schreibtisch zurück.
»Kommen Sie rein, Doktor.«
Auf der anderen Seite der Tür mit dem Fenster aus Maschendrahtglas befand sich ein rund drei Meter langer Korridor. Links war eine mit großen Riegeln gesicherte Metalltür, rechts das Büro des Sheriffs, ein mittelgroßer Raum mit hoher Decke, von hellem Sonnenlicht durchströmt und nach Tabak duftend.
Er setzte sich hinter einen alten Schreibtisch und bot mir auf einem zerkratzten und abgewetzten Ledersessel Platz an. Zuvor hatte er seinen Hut abgenommen und ihn auf ein Gestell aus Elchgeweihen geworfen.
Jetzt nahm er eine Packung Chesterfield heraus, bot mir eine Zigarette an. Während ich dankend verneinte, zündete er sich eine an, lehnte sich zurück und schaute zum Fenster hinaus. Durch die große Panoramascheibe sah man ein ganzes Stück der Orange Avenue. Sein Blick folgte dem Weg
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