Flüchtig!
eines Sattelschleppers, der mit Produkten des Landes beladen war. Er wartete, bis der riesige Lastzug davongerumpelt war, ehe er zu sprechen begann.
»Sie sind Psychiater?«
»Psychologe.«
Er hielt die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger und nahm einen tiefen Zug, inhalierte dabei den Rauch.
»Und Sie sind hier als Freund von Doktor Lynch, nicht in Ausübung Ihres Berufs.«
Sein Ton deutete an, daß ihm letzteres lieber gewesen wäre.
»Das ist richtig.«
»Ich bringe Sie gleich zu ihm. Aber ich muß Sie erst vorbereiten. Er sieht aus, als ob er in einen Mähdrescher geraten wäre. Nicht, daß Sie glauben, wir hätten ihn so zugerichtet.«
»Ich verstehe. Detective Sturgis sagte mir, daß er mit den Sektenmitgliedern eine Rauferei angefangen und dabei den kürzeren gezogen hat.«
Houtens Lippen unter dem Schnauzbart zuckten.
»Genauso ist es gewesen. Wenn ich nicht irre, ist Doktor Lynch ein prominenter Mediziner«, sagte er mit einiger Skepsis in der Stimme.
»Er ist eine international anerkannte Kapazität auf dem Gebiet der Krebserkrankungen bei Kindern.«
Wieder schaute er zum Fenster hinaus. Ich entdeckte ein Diplom an der Wand hinter dem Schreibtisch. Er hatte an einem staatlichen College einen B. A. in Kriminologie absolviert.
»Krebs.« Er sprach das Wort sehr leise aus. »Meine Frau ist daran gestorben. Vor zehn Jahren. Der Krebs hat sie von innen aufgefressen, wie ein wildes Tier, bevor er sie tötete. Die Ärzte haben uns kein Wort gesagt. Sie haben sich hinter ihrem Geheimjargon versteckt, bis zuletzt.«
Sein Lächeln wirkte bitter.
»Trotzdem habe ich noch nie einen Arzt kennengelernt, der so war wie dieser Doktor Lynch«, sagte er.
»Er ist ein ganz besonderer Mensch, Sheriff.«
»Er scheint Probleme mit seiner Selbstbeherrschung zu haben. Was ist er - Guatemalteke?«
»Kubaner.«
»Läuft auf das gleiche hinaus. Das Latino-Temperament.«
»Was er hier getan hat, kann man allerdings nicht als typisch für ihn bezeichnen. Meines Wissens ist er noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten.«
»Das weiß ich, Doktor. Wir haben seine Daten in den Computer eingegeben. Das ist einer der Gründe, weshalb ich bereit bin, ihn mit einer Geldstrafe davonkommen zu lassen. Denn ich hätte genug, um ihn für eine Weile hier festzuhalten: Hausfriedensbruch, tätliche Beleidigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt. Ganz zu schweigen von dem Schaden, den er mit seinem Wagen an dem schmiedeeisernen Tor angerichtet hat. Aber der Richter kommt erst wieder im Winter hierher, und wir müßten ihn zur Aburteilung nach San Diego bringen. Es wäre also ziemlich kompliziert.«
»Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Nachsicht und schreibe einen Scheck aus, mit dem alle Schäden beglichen werden können.«
Er nickte, drückte seine Zigarette aus und nahm dann den Telefonhörer ab.
»Walt, schreib die Geldstrafe für Doktor Lynch aus und den geschätzten Schaden für das ramponierte Tor… Nein, nicht nötig, Doktor Delaware wird dafür bezahlen.« Ein Blick in meine Richtung.
»Du kannst seinen Scheck annehmen, er sieht wie ein ehrlicher Mensch aus.«
Als er aufgelegt hatte, sagte er: »Es wird eine beträchtliche Summe.
Der Mann hat es uns nicht leicht gemacht.«
»Er muß völlig traumatisiert gewesen sein, als er gehört hatte, daß die Swopes ermordet worden sind.«
»Wir waren alle traumatisiert, Doktor. In diesem Ort leben eintausendneunhundertundsieben Menschen, die Besucher ausgeschlossen. Jeder kennt jeden. Gestern haben wir die Fahnen auf halbmast gesenkt. Als der kleine Woody so krank geworden ist, waren wir alle sehr traurig darüber. Und jetzt dies…«
Die Sonne flutete durch den Raum. Houten kniff die Lider zusammen. Seine Augen verschwanden hinter einem Nest von Krähenfüßen.
»Doktor Lynch scheint von der Idee besessen zu sein, daß die Kinder hier sind, drüben im alten Kloster, der ›Zuflucht‹ der Berührer«, sagte er abwartend. Ich wurde das Gefühl nicht los, daß er mich prüfen wollte, und drehte den Spieß um.
»Und Sie glauben, daß das ausgeschlossen ist.«
»Natürlich. Diese Leute sind - ungewöhnlich, mag sein, aber keine Verbrecher. Als man erfuhr, wer das alte Kloster gekauft hatte, gab es zunächst einen mordsmäßigen Aufruhr. Ich sollte Wyatt Earp spielen und sie wieder davonjagen.« Er lächelte ein wenig müde. »Die Farmer sind meistens nicht mit den Feinheiten von Rechtsansprüchen vertraut, also mußte ich ihnen ein bißchen Nachhilfe erteilen. An dem
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