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Flüchtig!

Flüchtig!

Titel: Flüchtig! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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arbeite nicht auf diesem Gebiet, weil ich rührselig und sentimental bin. Keine meiner Lieblingskusinen ist an Leukämie gestorben, kein Großvater wurde zu früh vom Krebs heimgeholt. Ich bin Onkologe geworden, weil Medizin Wissenschaft bedeutet - die Kunst, den Tod zu bekämpfen. Und Krebs ist der Tod. Schon als ich - ein Medizinstudent in den Anfangssemestern - zum erstenmal diese monströsen, primitiven, bösartigen Zellen unter dem Mikroskop gesehen habe, war ich davon wie gebannt. Und ich habe genau gewußt, was mein Lebenswerk sein würde.«
    Schweißperlen standen auf seiner hohen, dunklen Stirn. Die Kaffeebohnenaugen funkelten und richteten sich auf den kleinen Raum.
    »Ich gebe nicht auf«, sagte er störrisch. »Nur die Herausforderung des Todes, mein Freund, gewährt einen Blick auf die Unsterblichkeit.«
    Er war unerreichbar, gefangen in seiner wahnwitzigen Vision der Welt. Besessen und wie ein Don Quichotte das leugnend, was das Naheliegende war: Woody und Nona tot, begraben irgendwo in dem steinigen Grund rings um Los Angeles.
    »Laß die Polizei das Ihre tun, Raoul. Mein Freund kommt selbst bald hierher. Er wird alles überprüfen.«
    »Die Polizei!« spuckte er. »Die hat mir viel geholfen. Bürokratische Federfuchser! Kleine Geister, mit beschränktem Blickfeld, wie dieser blöde Cowboy da draußen. Warum suchen sie nicht hier - jeder Tag, jede Stunde kann entscheidend sein für den kleinen Jungen. Es ist ihnen egal, Alex. Für sie ist er nichts weiter als eine Zahl in einer Statistik. Aber nicht für mich!«
    Er verschränkte die Arme vor der Brust, als wehre er die Würdelosigkeit seiner Umgebung damit ab und sei sich seiner ramponierten Erscheinung überhaupt nicht bewußt.
    Ich war schon seit langem davon überzeugt, daß ein Übermaß an Gefühl tödlich sein konnte, daß zuviel Verständnis und Einsicht mitunter verheerende Wirkungen zeigten. Und ich wußte, daß diejenigen am besten überlebten - es gibt Studien, die das bestätigen -, welche mit der Fähigkeit zum hemmungslosen Verleugnen ausgestattet waren. Die einfach weitermarschierten, egal, was auch geschah…
    Raoul würde marschieren, bis er tot umfiel.
    Ich hatte ihn immer für ein wenig verrückt gehalten. Vielleicht im Kern genauso verrückt wie Richard Moody, aber intellektuell besser gerüstet, so daß die überschüssigen Energien einigermaßen vernünftig abgelassen werden konnten. Zum Nutzen der Gesellschaft, sozusagen.
    Jetzt jedoch waren zu viele Fehlschläge über ihn hereingebrochen: die Weigerung der Swopes, den Jungen weiter behandeln zu lassen, was für ihn, der sich ganz mit seinem Tun identifizierte, einer Ablehnung seiner Person gleichkam, also eine Gotteslästerung der schlimmsten Sorte war. Dann die Entführung seines Patienten: Erniedrigung und der Mangel an Kontrolle. Und der mehr als wahrscheinliche Tod des kleinen Jungen - die letzte und tiefste Beleidigung.
    Durch Fehlschläge war er ins Irrationale abgeglitten.
    Ich konnte ihn nicht in diesem Zustand lassen, wußte aber auch nicht, wie ich ihn herausbekommen sollte.
    Bevor einer von uns etwas sagen konnte, schaute Houten herein, die Schlüssel in der Hand.
    »Sind Sie bereit, Gentlemen?«
    »Ich hatte kein Glück, Sheriff.«
    Das vertiefte die Sorgenfalten um seine Augen.
    »Sie haben sich also entschlossen, bei uns zu bleiben, Doktor Melendez-Lynch!«
    »Bis ich meinen Patienten gefunden habe.«
    »Aber Ihr Patient ist nicht hier.«
    »Das glaube ich nicht.«
    Houten preßte die Lippen zusammen und senkte die Augenbrauen.
    »Bitte, kommen Sie auf ein Wort zu mir heraus, Doktor Delaware.«
    Er drehte den Schlüssel im Schloß, hielt dann die Tür einen Spalt auf und ließ Raoul nicht aus den Augen, während ich hinausging.
    »Leb wohl, Alex«, sagte der Onkologe mit der Stimme eines Märtyrers.
    Houten sprach abgehackt und in barschem Ton mit ihm.
    »Wenn Sie das Gefängnis für einen Spaß halten, Sir, dann werden Sie in Kürze Ihre Meinung ändern. Das verspreche ich Ihnen. Und inzwischen werde ich Ihnen einen Anwalt besorgen.«
    »Ich verweigere jegliche juristische Unterstützung.«
    »Ich besorge Ihnen trotzdem einen, Doktor. Was auch immer mit Ihnen geschieht, wir werden genau nach dem Buchstaben des Gesetzes handeln.«
    Er drehte sich auf dem Absatz um und ging in sein Büro hinüber.
    Als wir den Gefängnistrakt verließen, sah ich noch einmal Raoul hinter dem Gitter stehen. Ich hatte nicht den geringsten Grund, mir Untreue gegenüber dem Freund

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