Flügel aus Asche
ein Tuch eingeschlagen war, dazu eine Schüssel mit einer weißlichen Brühe und einen Krug Wasser.
»Ich würde gern sagen, dass ich nichts von dieser Keyla annehme«, sagte Talanna, sobald sie wieder fort waren, »aber ich muss wohl. Ich bin völlig durchgefroren und sterbe vor Hunger. Wenigstens habe ich meinen Umhang noch.«
Sie suchten passende Kleidungsstücke heraus und zogen sich um. Adeen spürte, wie sein Gesicht heiß wurde, als er einen Blick auf Talannas nackten Rücken erhaschte, und wandte sich rasch ab. Die Kleidungsstücke, die man ihnen gegeben hatte, bestanden alle aus grobem Stoff in dunklen Grün- und Brauntönen, eine sackartige Tunika und Hosen, die mit einer Schnur um die Hüften befestigt wurden. Sie passten mehr oder weniger, auch wenn Adeens Hose weite Falten um seine Beine schlug und Yoluans Hemd reichlich eng saß. Anschließend stürzten sie sich auf das Essen. Doch Adeen brachte das Brot kaum herunter. Es schmeckte so würzig, dass er es nur mit Mühe kauen und schlucken konnte. Selbst der Anblick des Brotes erschien ihm fremdartig: Die Krume war fast weiß, nicht grau, wie er es vom Felsbrotmehl aus Rashija kannte. Und die Brühe, die ihm schier den Mund verbrannte, mochte er gar nicht erst anrühren.
Mit den Decken machten sie es sich auf dem Boden so bequem wie möglich. Adeen riss Streifen von Talannas Umhang ab, tauchte sie in den Wasserkrug und wollte ihr geschwollenes Gesicht kühlen, aber sie murmelte: »Lass nur. Das mache ich schon selbst.«
Mit einem lautlosen Seufzer rollte sich Adeen unter seiner Decke zwischen ihr und Yoluan zusammen und horchte auf den Atem seiner Gefährten. Zunächst begann Yoluan zu schnarchen, schließlich atmete auch Talanna tief und gleichmäßig. Adeen fand lange keine Ruhe. Ihm fehlte das sachte Vibrieren Rashijas, das ihn bisher jeden Abend in seine Träume begleitet hatte, und Gedanken kreisten in seinem Kopf. Dass Talanna ihre Magie nicht benutzen konnte, diese Leute aber ausgerechnet ihn für einen Magier hielten, war gewiss nicht das Erstaunlichste, was ihm an diesem Tag passiert war. Das größte Wunder war, dass sie lebten und hier lagen.
Vor dem Zelt ließen die Nachtvögel fremdartige Geräusche hören. Der Wind rauschte in den Baumkronen, und langsam glitt auch Adeen in den Schlaf hinüber.
12
Rätsel
A deen roch Feuer, schmeckte Qualm und Asche. Beißendes Grün schlug wie eine Welle über seinem Körper zusammen. Er fuhr hoch.
Zunächst begriff er kaum, dass er geträumt hatte und nun wach war, so deutlich trieben noch die Bilder durch seinen Kopf: Ein Wald voller Farben, er blickte von oben darauf, der Schatten eines Vogels glitt über die Bäume … Aber da war auch die Erinnerung an das seltsame Gefühl von Macht.
Es musste noch Nacht sein. Adeen hörte seine Gefährten ruhig atmen, sogar Yoluan hatte aufgehört zu schnarchen. Er rieb sich die brennenden Augen. Auch er hätte gern noch mehr Schlaf gefunden, aber die Träume trieben ihn hinaus. Er stand auf, legte sich die Decke wie einen Umhang über die Schultern und verließ das Zelt.
Draußen zeigte der Himmel die ersten fahlen Spuren der Dämmerung. Als die kalte Luft sein Gesicht berührte, fühlte Adeen, wie ein Teil der Anspannung von ihm abfiel. Er schloss die Augen und versuchte, sich an den intensiven Geruch des Waldes zu gewöhnen.
Wachen zogen ihre Runden um das Zeltlager. Auf eine von ihnen trat Adeen zu. Die Hand des jungen Mannes zuckte zu dem Schwert an seinem Gürtel, aber als er Adeen erkannte, sanken seine Schultern herab. »Ach, du bist es. Der schwarze Mann.«
Adeen wusste nicht, ob ihm seine neue Bezeichnung besser gefiel als die alte. »Ich möchte in den Wald«, sagte er. »Keyla hat mich gebeten, jemandem Bescheid zu geben, wenn ich das Lager verlasse.«
Die Wache nickte ihm zu. »Gut, aber mach keinen Lärm. Und hinterlass keine Spuren.«
Der Wald umhüllte ihn mit freundlichen Geräuschen und sanftem Schwarzgrau. Wenn die Sonne aufging, würden die Farben allmählich zum Vorschein kommen. Auf diesen Moment wollte Adeen warten. Unter seinen Schritten raschelten die halb gefrorenen Blätter, kleine Zweige knackten.
Es tat gut, allein zu sein. Während des letzten Tages war so viel Neues auf ihn eingestürzt. Er schien sich selbst fremd, kein Schreiber mehr, keine Krähe, aber unter den Erdgeborenen ebenso sehr ein Außenseiter. Es kümmerte ihn nicht einmal. Irgendetwas war mit ihm passiert, dort zwischen Himmel und Erde. Er hatte geglaubt,
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