Fluegel der Dunkelheit
kümmern, oder bei ihm zu sein. Ich habe mich
gefragt, ob ...«
Hannahs Miene hellte
sich auf, wie die strahlende Sonne, die hinter dunklen Wolken hervor
scheint. »Er kann so lange bei uns bleiben. Das ist kein Problem.
Wenn ich ins Büro fahre, kümmert sich Mama um den Kleinen.«
Frau Sperling
nickte. »Das machen wir sehr gern für Sie, Dr. Majewski.«
»Das ist wirklich
freundlich, aber ganz so einfach ist das mit Veit nicht.« Liana
fühlte einen Kloß in ihrem Hals wachsen. »Veit hat Anämie. Er
braucht regelmäßig Blutkonserven.«
Frau Sperlings
Gesichtszüge wirkten jetzt angespannt. »Worauf lassen wir uns genau
ein?«
Liana musste
schlucken. »Veit hat die Blutgruppe AB negativ.«
»Ich habe aber B
negativ«, warf Hannah dazwischen.
»Eben. Veit
verträgt jede andere Blutgruppe, solange sie nur negativ ist. Wärest
du auch unter diesen Umständen bereit, Veit in deine Obhut zu
nehmen?« Liana hörte ihr Herz schneller schlagen.
»Aber Frau Dr.
Majewski, natürlich, sehr gern sogar.« Hannah strich sich eine
Strähne aus dem Gesicht. »Für dich mache ich das glatt.« Dabei
lächelte sie Veit zu.
»Halt, Hannah! Was
genau haben wir zu tun und wie bekommt der Junge seine Blutkonserve?«
Frau Sperling riss ihre Augen weit auf.
»Ich werde Ihnen
alles ganz ausführlich erklären. Sollte es irgendwelche Probleme
geben, bin ich so schnell ich kommen kann wieder hier.« Diese
Antwort schien die Mutter zu befriedigen. Sie nickte. Liana fühlte
sich um Tonnen leichter. Veit hier in Sicherheit zu wissen,
erleichterte die Suche nach Bettina. Zumindest diese Sorge war sie
los.
»Ich hoffe, das
kann ich eines Tages gutmachen.«
»Sie haben doch
nichts gut zu machen. Ohne Sie wäre Hannah nicht mehr am Leben.«
Frau Sperling lächelte. Wie gut diese Familie ihr tat, merkte Liana
bei jedem Besuch aufs Neue. Sie wünschte sich mehr solcher Menschen
in ihrem Umfeld.
»Danke, aber da ist
noch was. Veit hat einen, wie soll ich sagen, recht eigenwilligen
Vater. Keiner sollte Veit zu Gesicht bekommen.«
»Hier wird ihn
ohnehin kein Schwein sehen.« Hannah lachte herzhaft.
Liana wusste, wie
Hannah das meinte, doch sie musste ihr den Ernst der Lage
verdeutlichen. »Es ist sehr wichtig, dass Sie Veit niemandem
übergeben, außer mir. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Nun machen Sie
sich mal nicht so viel Gedanken. Veit ist bei uns bestens aufgehoben.
Wenn irgendetwas sein sollte, rufen wir Sie an.« Frau Sperling
zeigte ihr warmherziges Lächeln, das alle Sorgen vergessen ließ.
»Danke. Ich bin
froh, Veit in Ihren Händen zu wissen. Er ist mir inzwischen selbst
ans Herz gewachsen.« Mit dieser Aussage wurde Liana erst bewusst,
wie wahr ihre Worte waren. Sie ließ sich nicht nur deshalb gern
überreden, die Nacht auf dem Bauernhof zu verbringen. Für Veit wäre
die gemeinsame Zeit gewiss noch hilfreich, sich an Hannah zu
gewöhnen. Zwischendurch versuchte Liana, Veits Mutter über das
Handy zu erreichen. Doch jedes Mal erhielt sie nur die Ansage, der
gewünschte Gesprächsteilnehmer sei nicht erreichbar. Die wagen
Zweifel, ob Bettina die Situation falsch einschätze, schwanden
zusehends. Und wenn der Telefonanruf heute ihr letztes Lebenszeichen
war?
Nein! So schwarz
wollte Liana die Lage nicht ausmalen.
Liana übernachtete
mit Veit bei Hannah in der großzügigen Wohnung. Trotz der Gedanken
um Bettinas Verschwinden und um die Hintergründe der ganzen
Angelegenheit schlief Liana fest, ohne Alpträume, wie schon lange
nicht mehr. Die herrliche Landluft und die himmlische Ruhe schienen
Liana wie ein Kurzurlaub. Gleich am nächsten Morgen versuchte sie,
Bettina wieder auf dem Handy anzurufen.
Vergeblich!
Zum Frühstück gab
es knusprige Brötchen, eine große Portion Rührei mit Speck,
frische Wurst und leckeren Käse. Es fehlte wirklich an Nichts und
der Kaffee von Frau Sperling war der beste, den Liana je getrunken
hatte. Danach begann sie Hannah und Frau Sperling über die ersten
Anzeichen von Veits Anämie aufzuklären. Seine Haut würde blass, er
selbst schläfrig und lustlos werden. Liana hatte für zwei
Bluttransfusionen immer eine Einmalausrüstung mit Schläuchen und
Kanülen in ihrem Arztkoffer. Sie versprach, mit der Post neue
sterile Fusionsbestecke zu schicken. Für den Port von Veit musste
Liana spezielle Kanülen nehmen, die sie aus der Klinik besorgen
konnte. Liana erteilte Hannah einen Schnellkurs im Blutabnehmen. Bei
Hannah lagen die Venen dicht und damit sichtbar unter der Haut, was
für den
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