Fluegel der Dunkelheit
schweifen,
überlegte dabei, wo sie Veit verstecken könnte. Bei ihr war er
nicht sicher. Darauf zu vertrauen, dass Guido immer zur rechten
Stelle war, wäre naiv. Außerdem musste sie wieder arbeiten und Veit
braucht rund um die Uhr eine Betreuung. Sie stutzte. Wo war Veit
eigentlich? Wie konnte sie ihn nur aus den Augen lassen, wo ihre
Wohnung alles andere als kindersicher war? In ihrer Panik sah sie ihn
in der Küche an Reinigungsmittel probieren. Nein, hier war er zum
Glück nicht. Das Schlafzimmer! Er steckte gerade seinen kleinen
Fingerchen in die Steckdose. Nein. Nur die geschlossene Reisetasche
stand vor dem Bett, der Inhalt lag verstreut überall herum.
»Veit?« Liana
hielt den Atem an, um zu lauschen.
Plötzlich wackelte
die Tasche und ein dunkles »Lia« erklang. Erleichterung breitete
sich aus, aber wie hatte es Veit nur geschafft, von innen den
Reißverschluss zu schließen? Schnell zog sie ihn auf.
»Veit! Tu so etwas
nie wieder, hörst du?«
Er lachte nur, und
es war so ehrlich dieses Lachen. Nein! Diesem süßen Fratz durfte
niemand weh tun. Sie schwor sich, das zu verhindern. Nur wie? Die
Umstände mit der Bluttransfusion erschwerten die Möglichkeiten. Als
wären die Dinge nicht auch so schon schwierig genug. In der
Seitentasche der Reisetasche fand Liana den Blutpass. In
Großbuchstaben stand dort die häufigste Blutgruppe AB. Eine bessere
Blutgruppe gab es nicht, nur das kleine Minus davor grenzte den
Spenderkreis sehr ein. Veit konnte jede Blutkonserve erhalten, nur
musste die Blutgruppe ein Negativzeichen aufweisen. Liana selbst
hätte sich zur Verfügung stellen können, nur ihr Blut hatte ein
positives Merkmal. Sie brauchte möglichst einen geeigneten Spender
immer in der Nähe von Veit. Jedes Mal eine Klinik aufzusuchen,
hinterließ auffällige Spuren, die Klingberger mit großer
Wahrscheinlichkeit zu verfolgen wusste. Liana setzte Veit auf ihr
Bett und begann seine Sachen einzusammeln.
»Wir müssen
jemanden für dich finden.« Veit sah sie mit seinen braunen Augen
an, als würde er genau verstehen, worum es ging. »Wohin könnte ich
dich nur bringen?« Mit dieser Frage fiel ihr augenblicklich Hannah
ein. Ihre erste Patientin, die sie selbstständig operieren durfte.
Liana hatte, damals noch als Assistenzärztin, ihre Gehirnblutungen
stoppen können. Durch eine Verletzung am Rückenmark blieb Hannah
der Rollstuhl jedoch nicht erspart. Zu ihr hatte Liana einen
besonders intensiven Kontakt aufgebaut. Hannah besaß ein unglaublich
großes Herz für Kinder. Bestimmt war sie bereit, Veit Blut zu
spenden. Liana schnappte sich ihr Adressbuch und die inzwischen
gepackte Tasche.
»Komm, Veit, wir
machen einen Ausflug.« Sie streckte ihm ihre Rechte entgegen, die er
ohne zu zögern ergriff.
Bevor sich Liana mit
Veit auf den Weg zu Hannah machte, borgte sie sich von der
Tagesmutter einen Kindersitz. Für Veits Sicherheit war ihr der
kleine Umweg in den Salbeiweg ohne Frage wert. Als sie von dort aus
losfuhr, schaute sie alle paar Minuten in den Rückspiegel, ob man
ihr folgen würde. Vielleicht übertrieb Bettina mit ihrer Panik und
sie ließ sich davon noch anstecken. Unsinn! Veit war die Angst
gegenüber Dr. Klingberger deutlich anzumerken. Möglicherweise ließ
er sie sogar beschatten. Sie sollte wirklich aufpassen. Unterwegs
fiel ihr nichts Ungewöhnliches auf und nach anderthalb Stunden
lenkte Liana den Wagen auf den Hof der Familie Sperling. Der
Bauernhof lag weit außerhalb der Stadt, abgelegen zwischen zwei
kleinen Dörfern. Hier sah Liana Veit gut aufgehoben. Vor gut einem
Jahr war Liana das letzte Mal hier gewesen. Herr Sperling hatte ihr
stolz den ehemaligen Stall gezeigt, den er behindertengerecht für
seine Tochter umgebaut hatte. Eine idyllische Wohnung mit genügend
Platz, wo Hannah sich selbstständig mit ihrem Rollstuhl bewegen
konnte. Mit einer herzlichen Umarmung wurde Liana von Familie
Sperling empfangen. Frau Sperling deckte sofort den Tisch, während
Veit den Rollstuhl von allen Seiten untersuchte. Überhaupt wirkte er
diesen Leuten gegenüber auffallend aufgeschlossen. Er ließ sich von
Hannah sogar auf den Schoß nehmen. Diese Tatsache warf Lianas
anfängliche Überlegungen um. Veit in die Obhut dieser netten
Familie zu geben, ermöglichte ihr die Suche nach Bettina.
»Hannah, ich
brauche deine Hilfe.«
»Was kann ich für
Sie tun?« Hannah mimte ein erwartungsvolles Gesicht.
»Meiner
Arbeitskollegin, der Mutter von Veit, ist es zurzeit nicht möglich,
sich um Veit zu
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