Fluegel der Dunkelheit
in
gekrümmter Haltung am Straßenrand. Ein hörbares Stöhnen brachte
ihren Herzschlag auf Hochtouren. Wenn das hier ein Überfall werden
sollte, dann waren die Methoden aber ziemlich gemein.
Nein! Es sah so gar
nicht danach aus, eher, als habe der Mann eine schlimme Verletzung.
Vermutlich kam sie genau zur rechten Zeit, um zu helfen. Ihre
Schritte wurden fester, schneller und zunehmend erfasste sie
Einzelheiten. Der Mann presste die Hände auf die Schläfen. Er hatte
offensichtlich furchtbare Schmerzen.
»Sind Sie verletzt?
Was ist passiert?« Liana empfand die Situation als äußerst
unheimlich, doch Angst verspürte sie jetzt nicht mehr.
»Sind Sie allein?«
So weit das in der Dunkelheit im Scheinwerferlicht möglich war,
schaute sich Liana kurz um, wandte sich dem Mann wieder zu. Auf dem
Handrücken traten die Adern hervor. Es waren kräftige Hände mit
einer glatten, straffen Haut.
»Kommen Sie.«
Liana schob ihn zum Auto. »Ich werde Sie ins Krankenhaus bringen.«
Sein Stöhnen klang lauter, veränderte sich zu einem Ächzen. Er
konnte kaum laufen, es glich eher einem Torkeln. Liana öffnete die
Beifahrertür und drängte den Mann auf den Beifahrersitz.
»Können Sie mich
verstehen?« Seine Schmerzen mussten so überwältigend sein, dass er
auf keine ihrer Fragen reagierte. Liana tastete nach seinem Puls. Er
wurde auffallend langsamer. Plötzlich sackte der Mann in sich
zusammen. Er hatte das Bewusstsein verloren. Zum Glück saß er jetzt
im Wagen. Liana griff nach ihrem Arztkoffer auf der Rücksitzbank, um
das Stethoskop hervorzuholen. Wie sie bereits vermutete, war sein
Herzschlag enorm verlangsamt, seine Atmung dagegen viel zu schnell.
Irgendwo musste es doch eine Ursache geben. Sie strich sein wirres
Haar aus dem Gesicht, dann atmete sie überrascht ein.
Ein Adonisgesicht!
Er hatte lange
dunkle Wimpern und Augenbrauen, die wie ein gemalter Bogen am
Nasenrücken aufeinandertrafen. Seine leicht hervorstehenden
Wangenknochen und seine kleine kurze Nase sahen männlich, aber nicht
kantig aus. Die schwungvollen Lippen wurden von einem kurzen Bart
gerahmt, der etwas Jugendliches ausstrahlte. Er konnte kaum älter
als sie selbst sein. Liana mahnte sich, ihn nicht nur anzustarren. In
einer derartigen Situation, sich so gehenzulassen, kannte sie sonst
nicht von sich. Sie suchte ihn nach möglichen Wunden oder stumpfen
Verletzungen ab, fand aber keine. Ein solch heftiger Kopfschmerz mit
Bewusstlosigkeit ließ auf eine Hirnblutung, einen Hirnschlag
schließen. Sie musste ihn sofort ins Krankenhaus fahren. Einen
Krankenwagen zu rufen, würde nur kostbare Zeit fordern. Sie wäre
mit ihrem Auto vermutlich schneller in einer Klinik, als der
Rettungswagen hier draußen. Liana schnallte ihren regungslosen
Beifahrer an, schloss die Autotür und setzte sich hinters Lenkrad.
Noch während sie losfuhr, kam er überraschenderweise wieder zu
sich, wobei er jetzt nicht den Eindruck erweckte, als hätte er
Schmerzen.
»Haben Sie solche
Anfälle öfter?« Liana warf einen kurzen Blick auf ihn. Er richtete
sich auf, schaute sich hektisch um. Seine Finger zappelten auf seinem
Schenkel.
»Lassen Sie mich
aussteigen.« Seine Stimme klang rau, als wäre er heiser.
»Sie müssen sich
untersuchen lassen. Die Symptome deuten auf eine sehr ernst
zunehmende Erkrankung hin.«
»Lassen Sie mich
bitte aussteigen.« Diesmal trug er seine Worte lauter vor allem
fester vor.
»Hier draußen,
mitten im Wald?« Liana sah kurz in sein Gesicht. Seine Augen waren
extrem rot. In seinem Blick lag etwas Lauerndes, etwas Wildes.
Einerseits erschrocken war sie anderseits von diesem Blick auch
fasziniert. Sie schaute wieder auf die Straße.
»Sie müssen sich
einem Arzt anvertrauen. Ist Ihnen klar, dass Sie eben bewusstlos
waren? Ich würde Sie gerne untersuchen.«
Unerwartet riss der
Mann die Autotür auf. Nur der Sicherheitsgurt hielt ihn noch zurück.
Liana bremste. »Warten Sie! Ich halte ja an.«
Völlig panisch
löste er den Gurt und flüchtete aus dem Wagen, als sei der Teufel
hinter ihm her.
»So warten Sie
doch!« Liana zog eilig eine Visitenkarte hervor. »Bitte.« Sie
eilte um das Auto herum, ihm nach. Liana stockte der Atem. Er schien
sich in Luft aufgelöst zu haben, war einfach verschwunden. Sie
drehte sich mehrmals um. Das ging nicht mit rechten Dingen zu.
Zweifelnd starrte sie in die Dunkelheit des Waldes. War sie denn von
allen guten Geistern verlassen, einem fremden Mann hinterher zu
rennen? Und wenn er noch so attraktiv
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