Fluegel der Dunkelheit
Traians
Gesichtszüge blieben unverändert freundlich. Nur eine stille Geste
des Zuprostens war seine Reaktion. Während Liana ihren ersten
Schluck trank, beobachtete sie ihn. Er schloss die Augen, nahm den
Duft des Weines wahr, als sei es etwas ganz Besonderes. Er war ein
Kenner, ein Genießer. Erst nach einem genüsslichen Schluck schaute
er auf. Vermutlich musste sie den Anfang machen. »Erzähl mir von
deinen Beschwerden.«
Traian nippte an
seinem Wein. »Ich habe über deine Worte von gestern nachgedacht.«
Auch wenn es Liana
schwerfiel, sie durfte jetzt nicht vorgreifen, sie wollte abwarten.
Einige schweigsame Minuten vergingen, in denen sie ihn nur ansah. Er
schien sich an seinem Glas festhalten zu müssen.
»Du bist Ärztin,
was dich einerseits mehr als unsympathisch macht.«
Liana presste die
Lippen aufeinander. Wie gut sie ihn doch verstehen konnte, aber sie
durfte ihm nicht ins Wort fallen.
»Allerdings habe
ich zu dir Vertrauen gefasst.«
Das war gut. Niemals
würde sie ihm unnütz weh tun. Allmählich glaubte sie, seine
Unsicherheit zu spüren. »Ich sorge mich um dich, Traian.« Am
liebsten wäre sie aufgestanden, hätte seine Hände genommen, aber
sie sollte ihn jetzt nicht bedrängen. »Wenn Du einverstanden bist,
gebe ich dir einige Aufgaben.« Sie bemühte sich, langsam und ruhig
zu sprechen. »Ich werde nichts tun, was du nicht willst, ist das in
Ordnung?«
Er nickte.
»Gut. Zuerst
stellst du dich auf das linke Bein, streckst beide Arme waagerecht
vom Körper dann schließt du die Augen. Danach wiederholst du die
Übung mit dem andern Bein.« Um ihn zu ermuntern, fügte sie hinzu,
»Das tut nicht weh, versprochen!«
Traian stand auf. In
seinem Blick lag ein gleichgültiger Ausdruck, den sie bei ihm bisher
noch nie gesehen hatte.
»Ich werde nur
neben dir stehen und aufpassen.«
Traian folgte ihren
Anweisungen. In dem Moment, da er die Augen schloss, drohte er das
Gleichgewicht zu verlieren. Er schwankte. Darauf vorbereitet, hielt
Liana ihn fest. Hastig stützte er sich mit dem anderen Bein ab. Er
wirkte schockiert, als er aufschaute. Liana sah sich in ihrer
Befürchtung bestätigt.
»Setz dich auf den
Sessel.« Diese Implantate waren vielleicht nicht fachmännisch
angelegt. Dies konnte irreparable Schäden im Gehirn verursachen.
Traian durfte keine körperlichen Anstrengungen auf sich nehmen, bis
sie ihn operiert hatte. Aber würde er auf sie hören? In der
nächsten Aufgabe sollte Traian mit geschlossenen Augen seinen
Zeigefinger auf die Nasenspitze legen. Stattdessen berührte er die
Stirn oberhalb seiner Augenbraue.
»Verspürst du
manchmal Übelkeit?«
Traian schaute zu
Boden, was Liana als ein »Ja« wertete. Sie brauchte Gewissheit und
beschloss seine Pupillenreflexe zu überprüfen. Diese Situation war
schwierig. Sie ahnte, wie viel Mut er für diesen Besuch hier auf
sich genommen hatte. Lianas Hände zitterten, als sie eine
Taschenlampe aus der Schublade des Fernsehschrankes hervorholte.
Plötzlich stand
Traian auf. »Ich muss jetzt gehen.«
Verdammt nein! »Das
musst du nicht. Ich bin noch nicht fertig.« Sie legte die Lampe
schnell zur Seite. »Du bist hergekommen, weil du Hilfe brauchst. Ich
bin da, um dir zu helfen.«
Kein Ton gab Traian
von sich, sah sie nur an. Sie ergriff seine Hände. »Traian. Du
bedeutest mir sehr viel. Ich werde, wo ich kann dir immer zur Seite
stehen. Bitte, lass dir helfen.« Nachdem was er hinter sich hatte,
war es eigentlich zu erwarten, dass er so reagieren würde.
Vielleicht sollte sie zunächst nur ein paar Fragen stellen.
»Wie oft bist du
bisher ohnmächtig geworden?«
»Ich werde nicht
ohnmächtig.« Er klang entrüstet, als wäre es eine Sünde.
Liana schluckte. Er
war entweder zu stolz, zu eitel es zuzugeben oder er war sich dessen
nicht bewusst. »Diese Kopfschmerzen, hast du die ständig oder
treten sie zum Beispiel nur auf, wenn du dich körperlich betätigst?«
Er richtete erneut
seinen Blick zu Boden. »Sie kommen aus heiterem Himmel.«
»Und wie lange hält
das an? Hast du Sehstörungen?« Wenigstens gab er zu, Schmerzen zu
haben, ein kleiner Fortschritt.
»Vielleicht zehn
Minuten, ich weiß nicht.«
Die Zeitangabe war
unrealistisch. Liana suchte nach den richtigen Worten. Es kam jetzt
darauf an, ihm genug Angst zu machen, dass er sich freiwillig in
Behandlung begab. Trotzdem musste sie ihre Aussage vorsichtig wählen.
»Ich verspreche dir, dass ich bei allen Untersuchungen an deiner
Seite bleiben werde. Aber wir müssen
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