Fluegel der Dunkelheit
schweigsam. Liana hörte seinen Atem.
Er sträubte sich, möglicherweise beschlich ihn gerade Panik. Es lag
an ihr, einen Schritt auf ihn zuzugehen. »Wenn du einverstanden
bist, treffen wir uns.« Liana lauschte, dabei hielt sie den Atem an.
»Okay. In zehn
Minuten.« Traian legte auf.
Liana starrte aufs
Telefon, sie schüttelte den Kopf. Großartig und wo? Es musste etwas
Bedeutendes vorgefallen sein, so hatte sie ihn bisher nicht erlebt.
Liana rieb sich übers Gesicht. Ihr war klar, dass sie eventuell nur
diese eine Chance bekam, ihn zu untersuchen. Aber wo? »Ich werde zu
dir kommen«, hatte er gestern behauptet. Er würde herkommen, in
ihre Wohnung. Sie überlegte sich genau, wie sie vorgehen durfte,
ohne ihn zu verschrecken. Sie dachte an Victors Erzählung mit dem
Mundschutz. Traians Trauma bezog sich auf sämtliche medizinische
Utensilien. Sie sollte möglichst nichts benutzen, was er aus dem
Keller kannte. Liana begann oberflächlich Ordnung zu schaffen, alles
fortzuräumen, was nach Untersuchung, nach Krankenhaus aussah. Als
sie auf den Flur trat, warf sie einen Blick auf ihren Arztkoffer.
Griffbereit stand er immer neben der Wohnungstür. Sie warf eine
Jacke drüber. Wirklich gar nichts durfte ihn an die Versuche
erinnern. Ständig schaute Liana auf die Uhr. Wie lang sich zehn
Minuten doch anfühlten.
Traian! Was war er
für ein attraktiver junger Mann. Sie musste sich versuchen, auf ihn
einzustellen. Seine Bewusstseinsstörungen waren mit großer
Wahrscheinlichkeit lange nicht alle Beschwerden, die er hatte. Liana
bemerkte, wie ihr mulmig in der Magengegend wurde. Sie fürchtete
sich selbst vor dieser Untersuchung, vor den Erkenntnissen, die sie
damit gewann, vor der Wahrheit. Andererseits konnte sie hier nur
Vermutungen anstellen. Ohne die Technik aus der Klinik, fehlten ihr
Beweise und Befunde, um eine treffende Diagnose zu stellen. Solange
er einer Einweisung nicht zustimmte, hatte sie keine Möglichkeit,
ihm wirklich zu helfen. Sie sah auf die Straße hinaus. In der
Wohnung war es ganz still, nur ihren schnellen Herzschlag hörte sie.
Zwischen den parkenden Autos, den menschenleeren Gehwegen, dem
schummrigen Licht der Straßenlaternen hoffte sie, ihn zu sehen.
Nichts. Nur eine
Katze sprang drüben im Erdgeschoss durch das offenstehende
Küchenfenster. Seit Traians Anruf waren fünfzehn Minuten vergangen.
Ihn hatte bestimmt der Mut verlassen. Er wartete da draußen, an
irgendeiner Ecke und traute sich nicht her.
»Verdammt, Traian!
Ruf doch noch mal an.« Sie wickelte über ihren Zeigefinger eine
lange Haarsträhne. In ihren Vorstellungen sah sie Traian am
Straßenrand, benommen von seinen Kopfschmerzen. Er torkelte auf ein
fahrendes Auto zu … Im selben Augenblick fuhr sie zusammen, als es
an der Wohnungstür klopfte.
Ihr Herzschlag
dröhnte laut in den Ohren. Es konnte nur jemand aus dem Haus sein.
Aber um diese Zeit, wer sollte das sein? Traian war es nicht, sie
hätte ihn gesehen, wenn er auf den Hauseingang zugegangen wäre.
Es klopfte erneut.
Liana ging zur Tür, um sie zu öffnen. Traian stand vor ihr. Ängste
und Zweifel, die sich in den letzten dreißig Minuten angestaut
hatten, fielen von ihr ab. Ein leichter Schwindel blieb zurück.
»Komm rein.« Sie
brachte vor Überraschung nur ein Flüstern heraus. Traian, endlich
war er hier. Er schien zunächst zu zögern, trat dann mit einer
Entschlossenheit in den Flur, dass sie ihre Vermutung verwarf.
Nachdem sie die Wohnungstür schloss, drehte sie sich ihm zu und
erwartete eine zärtliche Begrüßung, eine innige Umarmung. Doch
Traian sah sich um. Er wirkte verärgert, oder er war einfach nur
nervös?
»Möchtest du was
trinken?« Liana wies ins Wohnzimmer. Sein charmantes Lächeln
erschien in seinem Gesicht. Es war zum Dahinschmelzen. Nein,
verärgert war er nicht. Für Liana ein Grund mehr, sich zu fragen,
warum er heute keine vertraute Begrüßung suchte. »Für einen
Schluck Rotwein bin ich immer zu haben.«
Mit den
Rotweingläsern in der Einen und der Flasche Wein in der anderen Hand
kehrte sie ins Wohnzimmer zurück. Traian erhob sich von der Couch,
dabei lächelte er. »Darf ich?« Er nahm die Flasche, öffnete sie
und goss den Wein in die Gläser. Seine Bewegungen waren fließend,
richtig geschmeidig, dass Liana fasziniert zusah. Kein Tropfen ging
daneben. Auch war kein Geräusch zu hören, als er die Flasche auf
den Tisch stellte.
»Wie elegant das
bei dir aussieht.« Liana nahm ihr Glas entgegen. »Danke.«
Weitere Kostenlose Bücher