Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fluegellos

Fluegellos

Titel: Fluegellos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Cardinal
Vom Netzwerk:
gesehen?! Er war Rettungssani gewesen. Er hatte mehr als einmal mit Menschen zu tun gehabt, die planten, sich umzubringen. Wieso hatte er diesen Blick nicht erkannt?! Ihren Blick, ihren kalten, abwesenden Blick, ihren toten Blick?!
    Selbstmord. Das war es, was sie dachte. Das war es, worauf Alex sie gebracht hatte.
    Er schluckte. Oh mein Gott.
    Zu komplexeren Gedanken war sein Gehirn gerade nicht zu gebrauchen. Er wusste auch nicht, ob ihn das vielleicht freuen sollte. Immerhin vermied er so, dass noch viel grausamere Gedanken die Oberhand über seine Handlungen gewannen.
    Gedanken daran, wieso Nina ihn angerufen hatte.
    Und daran, was sie vermutlich gleich tat.

15
     
    Er hatte nicht abgehoben. Viel schlimmer noch. Er hatte mich weggedrückt. Schmerz stieg in mir auf, doch ich schluckte ihn hinunter und hielt Emilia ihr Handy hin.
    »Geht keiner ran?«
    Ich schüttelte den Kopf und murmelte ein »Danke trotzdem.«
    Sie hob die Schultern und schenkte mir ein kurzes Lächeln. »Dann bis morgen.« Emilia hob zum Abschied die Hand, kehrte um und verschwand wieder in ihrem Büro. Ich hörte, wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte.
    Er hatte mich weggedrückt.
    Ich schloss die Wohnungstür und taumelte zum zweiten Mal an diesem Tag das Treppenhaus hinunter.
    Er hatte mich weggedrückt.
    Mit einer schnellen Handbewegung strich ich mir eine Träne aus dem Gesicht und versuchte, die Gedanken daran zu verdrängen. Wieso hatte Valentin mich weggedrückt?
    Weil ich von Emilias Handy aus angerufen habe , schoss es mir durch den Kopf. Er hatte nicht mich, sondern Emilia weggedrückt. Zumindest dachte er das.
    Ich hoffte es jedenfalls. Und überhaupt – wohin war Valentin verschwunden? Sollte ich vielleicht Emilia fragen?
    Ich blieb kurz stehen, ging aber dann sofort weiter. Nein. Ich konnte Emilia nicht danach fragen. Und es spielte vermutlich ohnehin keine Rolle. Was sollte ich dann machen? Ihn noch einmal anrufen?
    Er würde doch wieder nicht abheben.
    Ich atmete geräuschvoll aus und trat nach draußen. Es war mittlerweile schon fast dunkel, die Sonne war schon vollständig hinter der Fassade eines mehrstöckigen Wohnhauses verschwunden. Vielleicht konnte ich ja jetzt meinen Wagen nehmen, immerhin hatten jetzt alle Autos die Scheinwerfer an. Vermutlich sah ich sie jetzt besser, als bei Tag.
    Ich holte den Autoschlüssel aus meiner Handtasche und schloss auf. Als ich mich auf den Fahrersitz sinken ließ, begann ich zu zittern. Erst nur leicht und fast unmerklich, doch dann musste ich mich mit den Fingern ins Lenkrad krallen, um ruhig zu bleiben.
    Was hatte ich jetzt vor? Valentin hatte nicht abgehoben, vielleicht, weil ich von Emilias Handy aus angerufen hatte, vielleicht, weil er mit überhaupt niemandem reden wollte. Ich würde ihn von zu Hause noch einmal anrufen, einfach von meinem Handy aus. Dann war es mein Name, der auf dem Display stand, sofern er sich meine Nummer eingespeichert hatte. Dieser Einfall, den ich vorhin gehabt hatte …
    Valentin wird niemals mitmachen. Er wird mich für wahnsinnig erklären und einweisen lassen. Er wird sich fragen, wie man so dumm sein kann, wie ich. Er wird mich nicht verstehen.
    Er wird mir nicht helfen.
    Ich schluckte diese Gedanken hinunter. Sie hatten einen bitteren Nachgeschmack. Es schmeckte nach Wahrheit.
    Nein, Valentin würde wirklich nicht mitmachen. Es hatte keinen Sinn, ihn anzurufen. Er würde mir ohnehin nur sagen, dass ich mich nicht von der Stelle rühren sollte, bis er bei mir war. Und dann würde er mich zu einem Psychiater schicken, damit der mich in eine Gummizelle sperrte, wo ich mir unter keinen Umständen schaden konnte.
    Ich startete den Motor und fuhr auf die Straße. Mein Blick war merkwürdig klar, und es gelang mir ohne Probleme, auf die Hauptstraße zu fahren.
    Ich durfte ihn einfach nicht fragen. Ich musste es einfach machen.
    Ich schloss kurz die Augen, als ich an einer roten Ampel zum Stehen kam. Ich zitterte jetzt noch stärker, denn in meinen Gedanken formte sich langsam ein Bild, das ich nicht verdrängen konnte.
    Als ich die Augen wieder öffnete, lag mein Blick auf der Leitplanke.
    Es wäre so einfach.
    Es wäre so einfach, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Ich musste einfach nur …
    Ich schluchzte. Ich würde es nicht können. Ich spürte, wie sich alles in mir dagegen wehrte, den Lenker herumzureißen.
    Ich konnte das einfach nicht.
    Ein durchdringendes Hupen zerriss die Luft und ich schnappte erschrocken nach Luft. Ich trat aufs Gas und hatte

Weitere Kostenlose Bücher