Fluegellos
auszubrechen, weil ich ihn beneidete. Vielleicht lächelte ich dann darüber, dass sie sich nach Jahren der Trennung wieder sehen durften, ohne wütend und eifersüchtig die Seite aus dem Buch zu reißen.
Und vielleicht konnte ich dann endlich in meinem Büro sitzen und ignorieren, dass mein Chef ganz offensichtlich für meinen Körper schwärmte.
Vielleicht wurde mein Leben dann endlich normal.
Ich spürte eine kleine Emotion in mir aufkeimen. Vorfreude, als konnte ich es nicht erwarten. Als konnte ich meinen Tod nicht erwarten.
Ich musste wieder lächeln, als ich realisierte, wie geisteskrank das klang. Valentin hatte vermutlich seine Gründe, wenn er mich tatsächlich in die Geschlossene einweisen wollte. Doch kaum hatte ich das gedacht, schüttelte ich den Kopf. Nein, hatte er nicht. Er hatte nicht das Recht, darüber zu urteilen, wie ich über mein Leben dachte. Er, als eine Person, die die Liebe in ihrer schönsten Form hatte erleben dürfen, konnte unmöglich wissen, was ich fühlte.
Er konnte mich überhaupt nicht verstehen.
Ich blieb noch einen Augenblick stehen und wandte mich dann ab. Es war besser, ich brachte das alles hinter mich, bevor sich meine positiven Gedanken davonstahlen. Bevor ich ins Badezimmer verschwand, warf ich noch einen Blick auf meinen Akku. 15 Prozent. Die paar Minuten, die ich ihn noch aufladen ließ, würden reichen.
Im Badezimmer streifte ich mir die Kleidung ab und warf sie ausnahmslos in den Wäschekorb. Mit einer Hand prüfte ich die Wassertemperatur: Angenehm warm. Ich hatte das Wasser absichtlich etwas wärmer gestellt, als sonst, damit es keine ungewollten Parallelen zu dem Unfall von vor acht Jahren gab. Die ohnehin schon zu genüge vorhanden waren.
Ich setzte mich noch ein paar Minuten auf den Wannenrand und sah dem Wasser zu, wie es immer weiter anstieg. Irgendwann klingelte mein Handy, aber ich ignorierte es. Daran, dass er nicht aufgab, bevor die Mailbox sich meldete, erkannte ich, wer der Anrufer war. Jetzt hatte Valentin in der Zeit schon ganze drei Mal versucht, mich zu erreichen. Ich nahm das als ein Zeichen dafür, dass er unterwegs zu mir war.
Noch ein letztes Mal ging ich zurück in den Flur und nahm mein Handy vom Strom. Tatsächlich. Jedes Mal hatte Valentin mich angerufen, im Abstand von fünf Minuten.
Auf dem Weg zurück ins Bad warf ich noch einen Blick auf die Wohnungstür. Sie war nicht abgeschlossen. Sehr gut.
Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen ließ ich mich in die Badewanne sinken und genoss die Wärme des Wassers, die mich sofort einhüllte. Konnte man sich überhaupt selbst ertränken, und dann auch noch in einer Badewanne? Ich erinnerte mich dumpf daran, das Gegenteil gehört zu haben, aber ich hatte das Gefühl, es zu schaffen. Ich wollte sterben. Ich wollte wirklich sterben.
Während ich an die Decke starrte, gab ich mit der linken Hand Valentins Nummer ins Handy ein. Er würde sofort abheben. Er würde alarmiert sein, wenn ich ihm nicht antwortete. Und sich beeilen.
Ich schaltete den Lautsprecher ein.
»Nina?«, ertönte seine Stimme sofort. Er klang außer Atem.
Ich schwieg.
»Nina! Antworte mir!« Jetzt keuchte er noch lauter. »Mist.« Ich wusste nicht, ob das an mich gerichtet war, oder ob er es nur so von sich gab. Er schien auf jeden Fall begriffen haben, was gerade passierte. »Nina, mach bitte nichts Dummes! Ich bin gleich bei dir. Gib mir zwei Minuten! BITTE!« Er klang verzweifelt. So verzweifelt, dass ich mich fast schlecht fühlte. Aber ich hatte das Gefühl, dass es keinen besseren Zeitpunkt hätte geben können.
Zwei Minuten.
Ich lächelte, nahm tief Luft und tauchte rücklings ab. Mein Blick fiel durch die gekräuselte Oberfläche an die Zimmerdecke, während ich ganz, ganz leise Valentins Stimme vernahm. Er redete weiter auf mich ein, als hoffte er, mich beeinflussen zu können.
Aber er irrte sich. Ich hatte mich bereits entschieden.
Mein Lächeln wurde zufriedener, als ich daran dachte, was die Menschen über das Ertrinken sagten. Ich erinnerte mich nicht mehr daran, wie es sich angefühlt hatte. Es war zu lange her.
Es soll friedlich sein.
Ertrinken soll fast schön sein.
16
Sie antwortet mir nicht. Sie antwortet mir nicht! VERDAMMT, SIE ANTWORTET MIR NICHT!
Valentin rannte weiter, ignorierte den stechenden Schmerz, der durch seine Seite jagte. Er konnte nicht mehr. Er hatte das Gefühl, dass jeder Muskel in seinem Körper kurz davor war, zu zerreißen wie ein dünnes Stück Stoff, aber er
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