Fluegellos
Und wieso hatte ich nie einen zweiten Akku dabei? Ich könnte den jetzt sowieso nicht wechseln , ging es mir verbittert durch den Kopf. Ich konnte gerade gar nichts tun. Ich war gefesselt, konnte mich nicht rühren und hatte meine letzte Chance verspielt. Da wurde ich schon einmal von einer Person niedergeschlagen, die vergaß, mir mein Handy abzunehmen, und ich versaute einfach alles.
Nein, ich konnte wirklich nichts tun. Rein gar nichts. Außer zu warten.
Worauf? , fragte ich mich. Auf einen Schwarm Termiten, der mir die Fesseln vom Körper frisst? Auf Valentin, der mich rettet? Auf irgendeine Art des Glücks?
Ich hatte kein Glück zu erwarten. Ich hatte noch nie in meinem Leben Glück gehabt. Wieso dann jetzt?
» Verdammtes Teil! «, brüllte ich, ohne, dass ich meine eigenen Worte verstand, und trat mit aller Wucht gegen das Handy. Meine Ferse schabte dabei über den rauen Betonboden und ein heißer, brennender Schmerz jagte durch meinen Fuß. Aber er war mir egal. Mir tat alles weh. Ausnahmslos alles. Mein Kopf durch den Schlag, den er abbekommen hatte und die Hoffnungslosigkeit, mein Rücken durch das verkrümmte Sitzen, meine Hände durch die raue Kordel und meine Waden, aus unerfindlichen Gründen. Was machte da schon ein brennender Fuß aus? Es war doch alles egal.
Das Geräusch des über den Boden schlitternden Handys verstummte und hinterließ mich wieder in vollkommener Stille, nur durchbrochen von meinem Herzschlag und den hektischen Atemzügen.
Wirklich nur davon?
Ich riss die Augen auf und strengte meine Ohren an, in denen ich mein Blut rauschen hörte.
Nein, mein Herzschlag und mein Atem waren nicht die einzigen Geräusche, die die Luft zum Zittern brachten. Da war noch etwas anderes. Leise Schritte, irgendwo draußen, jenseits dieser Kellertür, der ich schon gefühlte Ewigkeiten gegenüber saß.
Hilfe? Oder genau das Gegenteil?
Ich schluckte und stieß willkürliche Laute aus. Egal, wer es war. Er oder sie würde mich hören. Und wenn es Hilfe war, dann war ich bald frei. Und wenn nicht, dann würde es mir auch nicht beschissener gehen, als ohnehin schon.
Dann öffnete sich die Tür und hielt den Atem an.
Valentin war es nicht.
Es war die Statur einer Frau, die ich als Silhouette im grellen Türrahmen stehen sah.
20
Ich erkannte Emilia nicht an ihrem dunklen Haar. Ich erkannte sie nicht an ihrer Stimme. Ich erkannte sie an dem wütenden Grinsen, das ihre schneeweißen Zähne im Licht aufblitzen ließ.
Schon wieder weiß. Ich hatte diesen Ton noch nie gemocht.
Sie kam mit langsamen Schritten auf mich zu, eine Tasche in der Hand, und ließ die Tür hinter sich zufallen. Die Dunkelheit breitete sich wieder aus.
Ich merkte, wie sich mein Körper anspannte. Ich drückte meinen Rücken gegen das Rohr und winkelte die Beine so stark an, wie möglich. Bloß so klein machen, wie möglich. Bloß um jeden Preis versuchen, ihr zu entkommen.
Plötzlich flackerte helles Licht auf und ich schloss die Augen. Rote Punkte tanzten vor ihnen auf und ab, stachen auf meine Netzhaut ein und schickten kurze Schmerzstöße in meinen Hinterkopf.
»Wir haben gleich unseren Termin«, sagte sie.
Ich werde nicht hingehen , wollte ich erwidern, aber ich wusste, dass es nichts brachte. Selbst wenn das Paketband nicht verhindern würde, dass ich verständliche Worte herausbekam, Emilia würde dennoch darauf bestehen.
Ich blinzelte und bemerkte, dass sie vor mir hockte, mit einem triumphierenden Grinsen im Gesicht, aufgetakelt wie die Schlampe von nebenan.
Schlampe. Genau das war das Wort, das ich ihr jetzt an den Kopf werfen wollte. Schlampe. Gnadenlose, egoistische Schlampe.
»Aber du wirst nicht mitkommen, richtig?«, fragte sie lächelnd. »Und deswegen habe ich mir etwas viel Besseres ausgedacht.«
Ich hielt inne.
»Du hast richtig gehört«, sagte sie. »Du wirst nicht mitkommen. Du darfst hier bleiben.«
»Was?«, wollte ich fragen, doch das Paketband dämpfte meine Sprache und machte sie unverständlich.
Sie tat überrascht. »Natürlich, das hatte ich ganz vergessen!« Mit einem schnellen Ruck riss sie das Paketband von meinem Mund, ihre Fingernägel bohrten sich dabei schmerzhaft in meine Wange. Doch das übertönte den Schmerz des Abrisses nicht. Der Kleber zerrte an meiner Haut, an meinen Lippen, an allem, was er zu greifen bekam. Ich konnte einen erschrockenen Schrei nicht unterdrücken.
Gnadenlose Schlampe!
»Du kleine …«
»Shhhht.« Plötzlich wanderte Emilias Griff in ihre
Weitere Kostenlose Bücher