Fluegelschlag
»Alles wird gut!«
Wenig später saßen sie in Sironas Suite an einem gedeckten Tisch. Finn war im Restaurant des Hotels unerwünscht - genau, wie Juna es vorausgesagt hatte. Ihn bekümmert das nicht. Solange er zu ihren Füßen liegen und schlafen konnte, schien die Welt für ihn in Ordnung zu sein.
Juna spießte eine Olive auf. »Das war also der Vorstand der Vertriebenen ?«
»Ja, sie sind ein bisschen steif, aber es gibt auch ein paar wirklich nette Leute im Verein, du wirst sehen …«
»Sofern sie mich aufnehmen. Ich habe das Gefühl, dass sie nicht besonders begeistert von der Idee waren. Warum wollten sie eigentlich gar nicht wissen, wie mein Engel heißt?«
»Niemand verrät den Namen seines Begleiters.« Sirona klang schockiert.
»Aber du kennst Arians Namen.« Juna sah auf.
»Weil du ihn mir genannt hast, ja. Aber ich würde ihn niemals ausplaudern.«
Juna legte die Gabel beiseite. »Und mir traust du so viel Verschwiegenheit nicht zu?«
»Ich halte mich nur an die Spielregeln.« Sirona tupfte sich mit der Serviette den Mund ab, bevor sie einen Schluck Wein trank. »Versteh doch, ich musste es ihm schwören. Und außerdem: Du erzählst ja auch niemandem, wo sich dein Ari… dein Engel im Moment aufhält.«
Juna setzte zu einer Entgegnung an.
»Nein, sag nichts. Ich habe genau gesehen, dass du vorhin nicht die Wahrheit gesagt hast. Du weißt, wo er steckt.«
Juna hatte sich mehr als einmal gewünscht, sie hätte eine weniger konkrete Vorstellung von dem Ort, an dem Arian nun Frondienste für den schrecklichen Dämonenfürsten leisten musste. »Das führt doch zu nichts.«
»Wahrscheinlich hast du Recht.« Sirona nahm ihr Besteck wieder auf und aß weiter. »Aber ich wette, ich war nicht die Einzige, die deine Schwindelei bemerkt hat. Elsa hat für so etwas einen sechsten Sinn.« So hieß die strenge Frau, und Juna glaubte es ihr sofort. Die finster blickende Elsa hatte so eine Art gehabt, sie anzusehen, als könne sie direkt in ihr Inneres schauen. Andererseits - wenn Elsa vor ihrer Begegnung etwas Negatives über Juna bekannt gewesen wäre, dann hätte sie diesem Treffen doch bestimmt nicht zugestimmt? Wahrscheinlich interpretiere ich zu viel hinein , dachte sie.
Arian hätte ganz bestimmt den Grund dafür erkannt,
dass Juna eine unerklärliche Abneigung gegen die Frau gefasst hatte, bevor die überhaupt das erste Wort gesprochen hatte. Er war sehr geschickt darin, die geheimen Wünsche anderer herauszufinden, und Juna hatte ihn mehr als einmal im Verdacht gehabt, Gedanken lesen zu können. Bei ihr tat er es jedenfalls, und sie schätzte es überhaupt nicht, auch wenn er sich dafür regelmäßig entschuldigte und zu erklären versuchte, dass ihm diese Fähigkeit selbst neu und auch ein wenig unheimlich war. Arian behauptete, dass sie mit seiner Verbannung aus Elysium zu tun habe. Juna ahnte, dass er nicht die ganze Wahrheit sagte, doch sie fragte nicht nach, weil sie überzeugt war, dass sie Zeit brauchten, um einander vollständig zu vertrauen. Eines Tages würde er ihr auch erzählen, was er jetzt noch zurückhielt.
Außerdem schienen seine gelegentlichen Besuche in ihrer Gedankenwelt die Verbindung zwischen ihnen auf ganz besondere Weise zu festigen. Immer häufiger hatten sie sich im Laufe der Zeit blind verstanden. Nach seiner Abreise hatte Juna mehr als einmal so lebendig von ihm geträumt, als wäre er tatsächlich an ihrer Seite gewesen. Und wenn sie sich diese Begegnungen in einem Raum zwischen den Welten vielleicht auch nur einbilden mochte, so nährten solche Momente der Nähe doch ihre Hoffnung, dass er bald zu ihr zurückkehren würde.
»… und dann nehmen sie dich nicht auf.« Sirona hatte offenbar einen längeren Monolog beendet.
»Wie bitte? Ach so. Das könnte natürlich sein.« Juna kehrte aus ihren Tagträumen zurück und blickte ihre Freundin skeptisch an. Sie sah immer noch nicht so recht ein, warum sie unbedingt Mitglied in diesem RFH-Verein werden sollte, und sagte dies Sirona.
»Es tut doch gut, mal über diese Dinge sprechen zu können. Wenn du erst einmal aus deinem Schneckenhäuschen herausgekrochen kommst, wirst du sehen, dass es großen Spaß macht.«
Über ihre Gefühle wollte Juna außer mit Arian mit niemandem sprechen, und unter guter Unterhaltung verstand sie auch etwas anderes, als einen Ball der einsamen Herzen zu besuchen. Sie sah sich im Geiste mit einer Dame mittleren Alters auf dem Tanzparkett ihre Runden drehen. Und falls die
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