Fluegelschlag
zeigte Juna auf Sirona. »Was fehlt ihr?«
Bevor Daniel etwas sagen konnte, erhielt sie von Arian eine sachliche Schadensbilanz. »Verschiedene Knochenbrüche, soweit ich es sehen kann, aber glücklicherweise keine nennenswerten inneren Verletzungen. Das wird wieder.«
Juna ging zum Krankenbett zurück und betrachtete ihre Freundin. Die Augen der Kranken waren weit aufgerissen und gaben ihrem Gesicht einen erschrockenen Ausdruck. Sie schien nichts zu hören, und auch als Juna nach ihrer freien Hand griff, reagierte sie nicht.
»Sie ist vollkommen weggetreten. Was haben die ihr gegeben?« Juna versuchte, die Aufschrift auf den Flaschen zu lesen, die in einem Gestell hingen und über Schläuche mit der Patientin verbunden waren.
»Nichts.« Daniels Stimme klang belegt. »In ihrer Akte
steht, dass sie schon in diesem Zustand eingeliefert wurde. Ich kann das gar nicht glauben.«
»Woher wusstest du, dass sie im Krankenhaus ist?« Juna drehte sich um und versuchte, sein Gesicht zu erkennen.
»Ich wollte sie in dem Restaurant abholen, aber als ich dort ankam, war das Treffen schon beendet. Sirona hatte gesagt, dass sie anschließend gleich nach Hause kommen wollte. Aber du kennst sie. Als sie nicht auftauchte, habe ich mir erst nichts dabei gedacht, sondern geglaubt, dass sie noch einkaufen geht. Irgendwann fing ich aber an, mir Sorgen zu machen, weil sie auch nicht ans Handy gegangen ist. Und dann habe ich die Nachrichten in Glasgow TV gesehen. Sie haben über den … Zwischenfall berichtet. Als ich sie dort liegen sah, wusste ich sofort, dass sie es ist.«
Das Zögern war ihr nicht entgangen. Ein versuchter Selbstmord war für die beiden Engel offenbar ein noch größeres Tabu, als Juna anfangs geglaubt hatte. »Und warum hast du danach ausgerechnet uns angerufen? Wir kennen uns doch kaum.«
»Juna, ich glaube nicht, dass solche Fragen uns weiterbringen.« Arian legte eine Hand auf ihre Schulter, als wollte er sie bitten, den verzweifelten Daniel nicht weiter zu quälen.
»Lass sie, Arian. Ich bin sicher, Sironas Unfall hat etwas mit diesen Refugees from Heaven zu tun, und ihr seid die Einzigen, die meine Bedenken der Gruppe gegenüber zu teilen scheinen.«
»Heißt das, du hast mit anderen Gefallenen darüber gesprochen?« Juna hoffte, dass ihre Frage nicht zu direkt war.
Daniel hustete, und das Ja , das Juna zu hören geglaubt hatte, ging darin unter. Schnell fasste er sich wieder und sah
Arian erwartungsvoll an. Offenbar traute er dem Erfahreneren zu, das Geheimnis um Sironas Zustand zu lüften.
Arian zögerte erst, aber dann trat er an ihr Bett und legte ihr die Hand auf ihre Stirn.
Den Wartenden kam es endlos vor, bis er sich endlich wieder zurückzog.
Arian ließ sich Zeit. Er suchte nach Worten, mit denen er Sironas Zustand beschreiben konnte. »Es ist schwierig. Fest steht, dass jemand massiv in ihre Gedanken eingegriffen hat. Der Auslöser für ihren Zustand könnte aber auch ein Schock gewesen sein.«
»Kannst du sie heilen?«
Daniels Frage überraschte Juna, sie hatte geglaubt, alle Engel verfügten über heilerische Kräfte. Schließlich hatte sogar Lucian ihren Fuß damals wieder in Ordnung bringen können. Aber bei genauerer Überlegung wurde ihr klar, dass Daniel in diesem Fall kaum auf ihre Hilfe angewiesen gewesen wäre. Um den Täter zu finden, hätte er sich später immer noch an sie wenden können.
Arian war anzusehen, dass er mit sich rang. Schließlich schien er eine Entscheidung getroffen zu haben. »Ich kann es versuchen. Aber hier ist es ein bisschen zu öffentlich für meinen Geschmack.« Er sah zu dem Fenster, durch das Licht aus der Stationszentrale hereinfiel. »Daniel, du gehst auf den Flur und passt auf, dass niemand kommt.«
»In Ordnung.« Die Konturen von Sironas Freund verschmolzen mit der Dunkelheit, dann war er fort.
Arian wandte sich Sirona zu, die immer noch regungslos in ihrem Bett lag. Nur die regelmäßige Kurve auf dem Monitor hinter ihr bewies, dass sie lebte. »Die Knochenbrüche kann ich nicht heilen, das verstehst du doch? Und ehrlich
gesagt, weiß ich auch nicht, ob ich den Rest in Ordnung bringen kann. Mach dir keine zu großen Hoffnungen. Vielleicht wird sie niemals wieder die Sirona sein, die du kennst.«
Juna gefiel Arians distanzierter Ton nicht, aber sie sagte sich, dass er in den langen Jahren seiner Existenz viele Tote und Sterbende gesehen hatte und dies wahrscheinlich seine Art war, sich vor Mitgefühl und Trauer zu schützen. Trotzdem hoffte
Weitere Kostenlose Bücher