Fluegelschlag
lief er mit seinem Kollegen hinaus, um zu einem neuen Einsatz zu eilen.
Juna entdeckte den Wartebereich und sah Arian dort sitzen, er hatte sie noch nicht gesehen. Anstatt nun ihrem
ersten Impuls zu gehorchen und sofort zu ihm zu laufen, verweigerte sie sich dem pulsierenden Rhythmus, der sie umgab, blieb stehen und nahm die Szene in sich auf: Ein Mann ging nervös auf und ab, dann setzte er sich, stand aber sofort wieder auf, um seine Wanderung fortzusetzen. Ein junges Mädchen hockte auf ihren Fersen, allein in der Ecke, die Finger ineinander verschränkt, händeringend. Zwischendurch warf sie verstohlene Blicke auf Arian, der mit halb geschlossenen Augen auf einem schäbigen Stuhl saß wie auf einem Meditationskissen.
Mit den glitzernden Armreifen und einem Jäckchen aus Goldlamé wirkte der junge Mann im kalten Neonlicht wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Auch er betrachtete Arians Tun, als traue er seinen Augen nicht. Ihm gegenüber hielten zwei Frauen einander in den Armen. Ihre ähnlichen, vergrämten Gesichter wiesen sie als Mutter und Tochter aus. Juna fragte sich, wem die Tränen galten, die in ihren Augen glitzerten.
Eine Insel der Verzweifelten inmitten hektischer Betriebsamkeit - nicht unüblich für die Notaufnahme eines großen Klinikums, sollte man meinen. Doch irgendetwas kam Juna merkwürdig vor. Ihr Blick glitt suchend über die Szene, und dann erkannte sie plötzlich, was anders war. Die Wartenden hatten instinktiv Arians Nähe gesucht. Sie scharten sich um diesen Krieger, als ginge von ihm etwas aus, das ihnen in diesem Moment größter Sorge ein wenig Trost versprach. Trotz ihrer eigenen Angst erfüllte sie dieser Anblick mit Freude. Egal, wer sein Vater war, Arian hatte nichts von seiner elysäischen Ausstrahlung verloren.
Juna setzte sich wieder in Bewegung. Arian sah auf, blickte sie mit seinen klaren blauen Augen an, und Junas
Anspannung verflüchtigte sich wie ein schlechter Traum. Sie rannte los und warf sich in seine Arme.
»Wie geht es Sirona? Was ist mit ihr passiert?«
Er legte den Arm um ihre Schulter. »Ich weiß es nicht genau.«
»Und wo ist Daniel?« Suchend sah sich Juna um.
Arian sagte leise: »Sie wollten ihn nicht zu ihr lassen. Aber natürlich hat ihn das nicht abhalten können. Er wacht über sie.«
»Und du?«
»Ich kann nichts tun. Juna, sie hat versucht, sich umzubringen. Da sind mir die Hände gebunden.«
Juna machte sich von ihm los. »Warum sollte sie so etwas machen?«
Er legte warnend die Hand auf ihren Arm, und ihr wurde bewusst, dass sie sehr laut gesprochen haben musste, denn einige Leute sahen bereits neugierig zu ihnen herüber.
»Du hast selbst gesagt, dass sie in letzter Zeit merkwürdig war«, erinnerte er sie.
»Aber weshalb willst du ihr nicht helfen?« Juna bemühte sich, leise zu sprechen. »Und jetzt komm mir nicht damit, dass es eine Sünde ist.«
Er sah sie ernst an. »Das ist es aber, und ich darf …«
»Weißt du was? Ich finde, es wird Zeit, dass du dich von einigen Regeln aus deiner Vergangenheit verabschiedest. Du bist hier in einer anderen Welt. Wir haben alle Gefühle und leben danach. Pass dich gefälligst an.«
»Juna …!«
» Juna mich nicht! Und außerdem weißt du nicht einmal, ob es überhaupt stimmt.« Sie war den Tränen nahe. »Bitte! Du musst sie dir ansehen.«
»Ich weiß zwar nicht, was du dir davon versprichst, aber gut: Sobald man zu ihr darf, werde ich sie mir ansehen.«
»Aber dann ist es vielleicht zu spät!« Nach kurzem Überlegen hatte Juna eine Idee. »Wahrscheinlich dürfen nur Angehörige zu ihr. Ich könnte mich als ihre Schwester ausgeben.«
»Und dann?«
»Dann kann ich Schmiere stehen, während du sie heilst.«
»Ich kann nicht …«, wollte Arian erneut erklären, doch Juna unterbrach ihn. »Willst du, dass ich Lucian darum bitte? Ich wette, er würde mir sofort helfen!«
»Darüber reden wir noch!« Arian klang jetzt ernsthaft ärgerlich, und all diejenigen, die vorhin noch seine Nähe gesucht hatten, suchten nun nach einem Grund, sich zu entfernen. Schnell war der Wartebereich menschenleer.
Sogar Juna fühlte sich in seiner Gegenwart unwohl und begriff, dass sich in den letzten Stunden eben doch nicht nur die Farbe seiner Flügel geändert hatte. Es war, als wäre er dabei, die Kontrolle zu verlieren. Das Erbe seines Vaters machte sich bemerkbar - sie hatte ihn noch niemals zuvor in einer solchen Stimmung erlebt, nicht einmal, als er sie in Lucians Armen erwischt hatte.
Sie bemühte
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