Flüsterherz
und sabberte die Eiskugel ab, als würde er sie knutschen. Er grinste herausfordernd, dann tänzelte er davon.
2
Am Donnerstag war Tibby nicht in der Schule. Als ich sie am Freitag darauf ansprach, wich sie mir aus. Am Montag war sie wieder nicht da. Vermutlich eine Sommergrippe, dachte ich. Ich wusste von Ma, dass die Durchfallmittel im Moment wie warme Semmeln weggingen.
Also schickte ich Tibby eine SMS. Sie simste zurück, es sei alles in Ordnung, die Sonne scheine so schön. Aber morgen komme sie wieder, versprochen.
Am Dienstag stellte sie sich in der Pause zu mir und zwinkerte schelmisch.
»Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«
Ich nickte. Wenn es um Geheimnisse ging, konnte ich schweigen wie ein Grab.
»Ich war am Strand«, sagte sie. »Hab den ganzen Tag in der Sonne gelegen. Am Donnerstag geh ich wieder hin. Kommst du mit?«
»Da haben wir Schule.«
»Na und?«
»Soll ich etwa schwänzen?«
»Auf das eine Mal kommt’s bei dir doch nicht an. Du schreibst sowieso immer nur Einsen.«
Das stimmte. Ich bekam zwar nicht immer Einsen, aber doch genug, um mir ohne schlechtes Gewissen einen Tag am Strand gönnen zu können. Aber ich hatte in letzter Zeit so oft Ärger mit den Lehrern gehabt. Was, wenn rauskam, dass ich jetzt auch noch schwänzte? Das gäbe eine deftige Moralpredigt von Pa und Ma. Schlimmstenfalls sogar Hausarrest.
»Wahrscheinlich bist du für so was zu brav.«
Peng, das saß! Ich war ja schon wie meine Eltern, die für alles und nichts eine Regel aufstellten. Tibby schwänzte schließlich auch, obwohl sie in den meisten Fächern vier stand und nur ab und zu mal eine Drei schrieb.
»Ist das eine gute Idee, so kurz vor den letzten Klassenarbeiten?«, erwiderte ich. »Wenn JP dir auf die Pelle rückt, ist das kein Vergnügen, das kann ich dir sagen.«
»Aber bei der Affenhitze in der Schule rumsitzen ist ein Vergnügen, hm?«
Tja. Da war was dran.
»Am Donnerstag sollen es dreiunddreißig Grad werden. Ich geh mit Tibby an den Strand. Kommst du auch mit?«, fragte ich Eileen nach der Schule.
»Spinnst du?«, meinte sie. »Das gibt doch nur Ärger.«
»Mir egal.« Ich tat cool.
»Das machst du nicht, nie im Leben«, sagte Eileen. »Das passt überhaupt nicht zu dir.«
Zwei Tage zerbrach ich mir den Kopf darüber. Es war eine Sache zu behaupten, ich würde ohne Gewissensbisse schwänzen, aber eine ganz andere, es auch wirklich zu tun.
Als ich am Donnerstagmorgen in der Schule anrief und sagte, ich hätte eine Sommergrippe, hatte ich total schwitzige Hände. Hoffentlich würde Eileen mich nicht verraten!
Ich schluckte, als ich sah, was die Zugfahrkarte kosten sollte.
Tibby nahm’s leicht. »Kontrolliert eh keiner«, meinte sie.
Aber schwarzfahren wollte ich dann doch nicht.
Obwohl ich immer noch ein bisschen beleidigt war, dass Tibby mich für stinkreich und brav hielt, verbrachten wir einen herrlich faulen Tag am Strand.
»Ich fühl mich ganz frei«, sagte Tibby. »Als ob der Wind und die Wellen alle Sorgen wegspülen. Geht’s dir auch so?«
Darauf hatte ich noch nie geachtet. Ich lag träge im Sand und versuchte zu fühlen, was Tibby meinte. »Der Wind pustet einem den Kopf leer«, sagte ich nach einer Weile und staunte selbst ein bisschen darüber. »Die Sonne wärmt mich innerlich und die Wellen spülen die Zeit weg. So etwa?«
Tibby nickte lächelnd. Dann stand sie auf, streckte sich und rannte aufs Meer zu. Ich lief hinterher und wir spritzten uns gegenseitig nass.
Viel zu schnell hatten die Wellen den Tag weggespült. Wenn ich rechtzeitig zum Abendessen zu Hause sein wollte, war es höchste Zeit aufzubrechen.
Dummerweise hatte der Zug Verspätung und ich kaute mir vor lauter Nervosität die Fingernägel ab.
Der Tisch war schon gedeckt, als ich ankam. Ich setzte mich rasch auf meinen Platz, den Sand noch zwischen den Zehen, und hoffte, es würde keinem auffallen, dass ich nach Sonnencreme roch.
»Du bist ja krebsrot im Gesicht«, stichelte Sam.
Er hatte mich durchschaut. Garantiert. Das sah ich an seinem Blick.
»Kein Wunder, bei der Hitze«, murmelte ich. Mein Gesicht glühte. Bestimmt hatte ich mir einen Sonnenbrand geholt.
Sam wollte noch etwas sagen, aber Ma kam ihm zuvor.
»Eileen schaut in letzter Zeit gar nicht mehr vorbei«, sagte sie. »Ihr habt euch doch hoffentlich nicht verkracht. Sie ist so ein nettes Mädchen und …«
»Alles bestens«, fiel ich ihr ins Wort. »Wir sehen uns jeden Tag in der Schule und außerdem beim Hockey und den
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