Flüsterherz
cool. Ich hatte allen Ernstes noch nie jemanden so lässig an einem Zaun lehnen sehen. Allein sein Anblick machte mich high. Ich musste schnellstens herausfinden, wie er hieß und woher er kam. Vielleicht würde Eileen mir helfen, die hat ein Gespür für so was. Oder Sam, der ging schließlich in seine Klasse.
»Willst du auch ein Eis?«, wandte ich mich an Tibby. »Vanille oder Schoko?« Ich steuerte schon mal auf den Wagen zu.
»Sag das Wort nicht!«
»Was für eins?«
»Das S-Wort! Schokolade ist VW!«
Kichernd folgte sie mir, direkt an dem gut aussehenden Neuen vorbei. Ich versuchte, seinen Blick aufzufangen, wollte ihm zulächeln, aber er guckte woandershin.
Der Eismann gab uns zwei große Kugeln Vanille.
»Schmeckt’s?«, fragte ich.
Tibby nickte. »Danke.
Vanille rulezz
.«
Warum guckte sie dann so traurig?
»Stimmt was nicht?«, fragte ich.
Sie wich meinem Blick aus und gab keine Antwort.
»Hat es mit Tarik zu tun? Der war doch vorhin ganz nett, oder?«
»Zu dir schon.« Sie machte eine säuerliche Miene und äffte ihn nach: »Ey, Anna, das
musst
du dir anhören!«
»Das ist nicht dein Ernst, oder? Tarik ist doch zu jedem so. Der braucht nun mal Publikum. Stell dich einfach dazu und lach mit.«
Sie zuckte mit den Schultern.
Ich warf einen raschen Blick zu dem Neuen, der gerade zufällig hersah.
Yes! Ich freute mich so sehr, dass ich übermütig wurde. »Willst du auch ein Eis?«, rief ich spontan.
Tibby stieß mich in die Seite und sah mich an, als wäre ich verrückt geworden.
Mr. Cool grinste zwar, begriff aber wohl nicht, dass ich ihn gemeint hatte, denn er sagte nichts und lehnte einfach weiter lässig am Zaun.
Oder er fand mich megablöd.
Oder er war taub.
Zu dumm, dass man nie weiß, was andere denken, nicht mal ungefähr. Das Leben wäre viel einfacher, wenn man es zumindest ahnen könnte.
Tarik hatte mich allerdings gehört. »Ey, Anna! Du willst mir ’n Eis spendieren? Super, ich nehm Vanille«, sagte er. »Wie komm ich zu der Ehre?«
»Ich hab heute meinen großzügigen Tag.«
»Passt wie die Faust aufs Auge. Ich bin nämlich total blank«, sagte er.
Ich ging zum Eismann und hoffte, dass Tarik in der Zwischenzeit mit Tibby quatschte. So könnte ich der Sache ein wenig auf die Sprünge helfen …
Aber Tibby stand da und war stumm wie ein Fisch. Warum machte sie den Mund nicht auf? Ein wenig bemühen musste sie sich schon … Oder gefiel Tarik ihr nicht mehr?
Grinsend nahm er sein Eis in Empfang und verspeiste es in Rekordzeit.
Er lachte uns an.
»Ich muss weiter, Ladys«, sagte er. »
See you!
Ey, übrigens, der Typ da drüben. Den hab ich neulich im
Sisters
gesehen. Als DJ. Voll coole Musik.«
Und weg war er.
»Du lachst ja, Tibby!«, stellte ich fest. »Also magst du Tarik doch.«
»Mhja«, machte Tibby.
Sie zuckte mit den Schultern, strahlte aber.
Aha!
5
»Wir haben einen Neuen in der Klasse«, erzählte Sam beim Abendessen.
Ja, Bruderherz, ich weiß: groß, blond, cool – und DJ! Erzähl mir mehr von ihm!
»Er heißt Easy«, berichtete Sam weiter. »Und er arbeitet als DJ im
Sisters
.«
Easy. Das wiederum hatte ich noch nicht gewusst … ein bisschen seltsam, aber okay. Easy …
»Easy? Seltsamer Name«, sagte Pa. Konnte der Mann etwa Gedanken lesen?
»Take it easy, Easy. Easy listening mit DJ Easy!«
Pa lachte. Als Einziger.
»Und woher kommt er?«, wollte Ma wissen. Das fragt sie immer.
»Meinst du den Namen?«, sagte Sam. »Das ist ’ne Abkürzung oder so. Der Typ ist ziemlich nett. Er hat vorher in Den Haag gewohnt.«
»Wie schmeckt euch die Spaghettisoße?«, wechselte ich rasch das Thema, um nicht rot anzulaufen. Ich hatte ein Rezept von Tibby ausprobiert. Tomatensoße mit Hack, angebratenen Paprikawürfeln und frischem Oregano.
»Was für eine Sorte ist das?«, fragte Ma.
»Tiberiasoße«, sagte ich. »Die Variante mit Oregano.«
»Schmeckt.«
Das war alles. So läuft das bei uns. Ich kochte zum ersten Mal im Leben allein eine köstliche Spaghettisoße aus lauter frischen Zutaten und sie wussten nichts anderes zu sagen als »schmeckt«.
Plötzlich bekam ich großes Heimweh nach Tibbys behaglicher Wohnküche mit dem merkwürdigen Brotschneidetisch, an dem Jeff saß und Gitarre spielte, während wir am Herd in irgendwelchen Töpfen herumrührten. Bei uns hockte jeder abends am Computer oder ging seiner Wege. Dass wir zusammensaßen, kam so gut wie nie vor.
»Wollen wir’s uns heute Abend mal gemütlich machen?«, fragte ich. »Wir
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