Flüsterherz
es bei uns ordentlich aussieht, leben wir noch lange nicht in einer Kaserne!«
Den Rest verkniff ich mir, denn es hatte keinen Sinn. Ich war gern bereit, ihr zu helfen, bei allem, aber mit ihr darüber zu diskutieren, war vollkommen sinnlos.
»Anna?«, sagte Tibby nach einer Weile.
»Ja?«
»Es tut mir leid. Hilf mir doch. Bitte!«
»Aber sicher helfe ich dir. Gern sogar, das weißt du.« Ich nahm meine Tasche. »Dann gehen wir also.«
»Nein, ich meine bei Geometrie. Ich kapier’s nicht«, sagte sie. »Für dich ist das alles kein Problem.«
»Wenn du willst, dass ich dir helfe, dann komm jetzt mit«, sagte ich. »Ich habe keine Lust mehr, hier in der Kälte rumzuhocken.«
War das schon eine Art Erpressung? Ich bekam ein schlechtes Gewissen.
»Mann, ich kann doch nicht weg hier«, sagte Tibby. »Wenn ich jetzt den Gasherd ausmache, ist es nachher eiskalt. Bitte bleib, es sind doch nur zwei Aufgaben.«
Ich rieb mir die Hände warm und fing an zu erklären. Die Aufgaben waren kinderleicht, aber Tibby stand voll auf der Leitung. Nach einer halben Stunde ging mir die Geduld aus. Ich war völlig durchgefroren und wollte nur noch eins: fort.
»Ich muss jetzt los«, sagte ich. »Hab noch Hockeytraining.«
Als ich die Haustür hinter mir zumachte, hatte ich das Gefühl, etwas hinter mir gelassen zu haben, für immer.
Zu Hause packte ich meine Schultasche aus. Auch die Scherben von Anubis. Und bevor ich mich’s versah, lag ich auf dem Bett und heulte. Ich heulte, weil ich wusste, dass viel mehr kaputtgegangen war als die Figur. Nur was genau, das wusste ich nicht.
Beim Abendessen sagte Pa: »Hast du geweint, Anna? Ist was passiert?« Es klang so liebevoll, dass mir prompt wieder die Tränen kamen. Am liebsten hätte ich von Tibby erzählt, aber ich fand keine Worte. Nur Tränen. Und im Hals drückte etwas, ein dicker Klumpen aus Kummer.
Sam musterte mich eingehend. »Stress in der Liebe?«, vermutete er.
Ich schüttelte den Kopf, obwohl er nicht unrecht hatte. Denn mir fehlte die Tibby von früher sehr. Im Sommer war es so herrlich mit ihr gewesen. Und jetzt war alles ganz anders.
Nach dem Abendessen holte ich Anubis und zeigte Pa die Scherben.
»Verstehe«, sagte er. »Komm mal mit.« Er ging an seinen Schreibtisch, zog mit geheimnisvoller Miene eine Schublade auf, kramte kurz und hielt mir dann eine Tube hin.
»Atomkleber«, sagte er verschwörerisch. »Damit kann man buchstäblich alles kleben. Sogar gebrochene Herzen.«
Er guckte so mitfühlend, dass ich kurz überlegte, ob ich ihm erzählen sollte, dass bei Tibby der Ofen kaputt war. Was würde er wohl dazu sagen? Vermutlich: »Aha, der Ofen von Tib-Tib-Tibby, Lib-Liblib-Libby.«
Nein, das hatte keinen Sinn.
6
Am nächsten Tag fehlte Tibby im Unterricht. Ich schickte ihr eine SMS, aber sie reagierte nicht. Das kam mir seltsam vor. Sonst antwortete sie immer sofort.
Eileen lenkte mich ab. »Riech mal!« Sie sprühte mir etwas auf die Hand. Es roch süßlich, aber gut, nach Erdbeeren, Zuckerwatte und Rosen.
»Was ist das?«
»Ein neues Parfum.
Exquise Moi
«, flüsterte sie. »Ist bei uns noch gar nicht auf dem Markt. Hab ich zu Weihnachten geschenkt bekommen.«
Ich schnupperte noch einmal daran. Mhmm!
»Ist Tibby krank?«, fragte Eileen.
»Ich muss sie nachher mal anrufen«, sagte ich. Aber im Grunde hatte ich keine große Lust, hinter Tibby herzutelefonieren. Sie konnte sich auch selber melden.
Nach der Schule nahm ich mir Anubis vor und leimte die Figur wieder zusammen. Die weißen Bruchstellen bemalte ich vorsichtig mit schwarzer Farbe und die Augen golden. Es war eine ziemliche Fummelarbeit. Als ich beim linken Auge einen Moment nicht aufpasste, kullerte eine goldene Träne über Anubis’ Wange.
Tibby kam tagelang nicht zur Schule und ließ auch kein Wort von sich hören. Nicht gerade nett. Ich kam mir vor wie auf dem Abstellgleis.
Als ich mit Jeske zu den Fahrrädern ging, erkundigte sie sich nach ihr. »Was ist eigentlich mit Tibby los? Sie fehlt schon die ganze Woche. Hat sie ’ne schlimme Krankheit, oder was?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Hast du sie noch nicht angerufen? Seid ihr etwa verkracht?«
»Nein.« Jeskes sensationsheischender Ton nervte mich. Ich nahm mir vor, über meinen Schatten zu springen und nachher kurz bei Tibby vorbeizuschauen. Und vor allem rasch das Thema zu wechseln.
»Wie läuft’s mit dem Kunstfest?«, fragte ich. »Wann ist das nächste Treffen?«
Ich hoffte, Easy dort zu sehen. Jeden Morgen
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