Flüstern in der Nacht
dabei hören könnte, wie die Erde mit sich selbst wisperte«. Aber die strebsamen Leute von Hollister gingen über Generationen hinweg ihren Geschäften mit einer positiven Einstellung zum Leben nach, die zu betrachten an das Wundersame grenzte. Hier konnte man kalifornischen Optimismus in Reinkultur erleben.
Rita Yancy lebte in einem Eckhaus an einer ruhigen Straße, einem ziemlich kleinen Haus mit einer mächtigen Veranda davor. In einem Beet an der Grundstücksgrenze blühten weiße und gelbe Herbstblumen.
Joshua klingelte. Hilary und Tony standen hinter ihm. Eine ältere Frau kam an die Tür. Sie trug ihr graues Haar zu einem Knoten hochgesteckt. Ihr Gesicht war runzelig, und ihre blauen Augen blickten munter und schnell. Sie zeigte ein freundliches Lächeln. Über einem blauen Hauskleid trug sie eine weiße Schürze, und ihre Schuhe deuteten auf eine Art, wie alte Frauen sie tragen. Sie wischte sich die Hände an einem Küchenhandtuch ab und meinte: »Ja?« »Mrs. Yancy?« fragte Joshua. »Die bin ich.«
»Mein Name ist Joshua Rhinehart.«
Sie nickte. »Hab' mir schon gedacht, daß Sie auftauchen würden.«
»Ich bin fest entschlossen, mit Ihnen zu sprechen«, entgegnete er.
»Sie erwecken in mir den Eindruck, daß Sie nicht leicht aufgeben, am besten gar nicht.«
»Ich werde hier auf Ihrer Veranda meine Zelte aufschlagen, bis ich das erfahre, weshalb ich herkam.«
Sie seufzte. »Das wird nicht nötig sein. Ich habe seit Ihrem Anruf gestern gründlich über die ganze Geschichte nachgedacht. Dabei bin ich zu dem Entschluß gekommen – Sie können mir überhaupt nichts anhaben. Nicht das geringste. Ich bin fünfundsiebzig Jahre alt, und Frauen meines Alters steckt man nicht einfach ins Gefängnis. Also kann ich Ihnen ebensogut auch die ganze Geschichte erzählen. Denn wenn ich das nicht tue, werden Sie mir bloß weiter auf den Nerv gehen.« Sie trat zurück, öffnete die Tür, und die drei gingen hinein.
Auf dem Dachboden des Hauses auf der Klippe erwachte Bruno schreiend in dem riesigen Bett.
Es herrschte Dunkelheit im Zimmer. Die Batterien seiner Taschenlampe hatten, während er schlief, ihren Geist aufgegeben.
Wispern. Rings um ihn.
Weiches, zischelndes, bösartiges Wispern. Er schlug sich mit den Händen ins Gesicht, auf den Hals, die Brust und die Arme, versuchte die widerwärtigen Biester wegzuwischen, die auf ihm herumkrabbelten; dabei fiel Bruno aus dem Bett. Auf dem Boden schien es von den herumhuschenden Biestern geradezu zu wimmeln. Tausende, und alle wisperten, wisperten. Er schrie und jammerte und preßte sich seine Hand über Mund und Nase, damit die Biester nicht in ihn hineinkrabbeln konnten. Licht.
Lichtfäden.
Dünne Linien des Lichtes, wie lose strahlende Fäden, die aus dem ansonsten finsteren Raum herunterhingen. Nicht viele Fäden. Nicht viel Licht. Aber etwas. Jedenfalls viel besser als gar nichts.
Er strebte, so schnell er konnte, auf die schwachen Lichtfäden zu, wischte die Biester von sich und fand schließlich ein jalousienbedecktes Fenster auf der anderen Seite des Raumes. Das Licht fiel durch die schmalen Ritzen der Läden. Bruno stand schwankend da und tastete in der Finsternis nach dem Fensterriegel. Als er das Schloß endlich fand, ließ es sich nicht bewegen; es war eingerostet. Schreiend und unentwegt an sich herumwischend taumelte er zum Bett zurück, fand in der konturlosen Dunkelheit stend schließlich die Lampe, die auf dem Nachttisch stand, trug sie zum Fenster und benutzte sie wie einen Knüppel; das Glas klirrte. Er warf die Lampe beiseite, tastete nach dem Riegel auf der Innenseite der Läden, fand ihn, riß daran herum, schürfte sich die Haut ab, löste endlich den Riegel, stieß die Läden auf und weinte erleichtert, als Licht in den Dachboden flutete. Das Wispern verstummte.
Rita Yancys Salon – so nannte sie den Raum: Salon – statt eines modernen, weniger farbigen Wortes – klang fast wie eine Parodie auf jene klischeehaften Salons, in denen alte Jungfern wie sie angeblich ihren Lebensabend verbrachten. Chintzvorhänge. Handgestickte Wandbehänge – meist fromme Sprüche, eingerahmt von Blumen und Vögeln in Pennygröße – hingen überall herum, eine gnadenlose Zurschaustellung guten Willens und schlechten Geschmacks. Schwellende Polster, Backensessel. Reader's-Digest-Hefte auf niedrigen Tischchen. Ein Korb mit Wolle und Stricknadeln. Ein Blümchen-Teppich mit Schon-Läufern im selben Muster darüber. Auf dem Kaminsims tickte hohl
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