Flug 2039
Hand auf meinen BH, da wo er mein Rückgrat kreuzt.«
Ich tue das.
Sie erklärt mir auch, wie ich erst den linken und dann den rechten Fuß nach vorn zu stellen habe und wie ich dann die Füße zusammenbringen muss, während sie das Ganze jeweils in entgegengesetzter Richtung tut.
»Der Tanz heißt Boxstep«, sagt sie. »Und jetzt achten Sie auf die Musik.«
Sie zählt: »Eins, zwei, drei.«
Die Musik macht: Eins. Zwei. Drei.
Wir zählen weiter und machen dazu jedes Mal einen Schritt. Wir tanzen. Die Blumen in all den Grabnischen ringsumher beugen sich zu uns herunter. Der Marmor unter uns wird immer glatter. Wir tanzen. Das Licht fällt durch die bunten Fenster. Die Statuen stehen gemeißelt in ihren Nischen. Die Musik kommt schwach aus den Lautsprechern und hallt zwischen den Mauern wider, bis die Töne und Akkorde uns von allen Seiten wie Luft oder Wasser umströmen. Und wir tanzen.
»Eins ist mir von der Kreuzfahrt noch in Erinnerung«, sagt Fertility und schmiegt den Arm in ganzer Länge an meinen. »Ich erinnere mich an die Gesichter der letzten Passagiere, als sie in ihren Rettungsbooten vor den Fenstern des Tanzsaals herabgelassen wurden. Die orangefarbenen Schwimmwesten umrahmten ihre Köpfe, dass es so aussah, als hätte man die Köpfe abgeschnitten und auf orangefarbene Kissen gelegt, und sie haben mit großen Fischaugen zu Trevor und mir hereingeschaut, die wir immer noch im Tanzsaal des Schiffes waren, während das Schiff schon zu sinken begann.«
Sie war auf einem untergehenden Boot?
»Schiff«, sagt Fertility. »Es hieß Ocean Excursion. Versuch das mal dreimal schnell hintereinander zu sagen.«
Und es ist untergegangen?
»Es war schön«, sagt sie. »Die Frau im Reisebüro hatte gesagt, wir sollten bloß nicht zurückkommen und uns beschweren. Es sei ein altes Schiff der French Line, hat sie zur Warnung noch gesagt, nur gehöre es jetzt irgendeiner südamerikanischen Gesellschaft. Ein Schiff im Art-déco-Stil. Hat ausgesehen wie das Chrysler Building, bloß in Seitenlage, und ist die ganze Atlantikküste von Südamerika rauf- und runtergefahren; die Passagiere waren alles Argentinier aus der unteren Mittelklasse, samt ihren Frauen und Kindern. Argentinier. Die Lampen an den Wänden waren alle aus rosa Glas, das wie riesige lanzettförmig geschliffene Diamanten ausgesehen hat. Das ganze Schiff war in dieses rosa Diamantenlicht getaucht, und die Teppiche waren voller Flecken und abgewetzter Stellen.«
Wir tanzen auf der Stelle, und dann beginnen wir zu kreisen.
Eins, zwei, drei, Boxstep. Das Vor und Zurück des Schleifschritts. Das Heben des Absatzes in perfekt kubanischem Schritt-zwei-drei. Ich kreise mit Fertility Hollis im Arm. Wir kreisen und kreisen, kreisen, und kreisen und kreisen.
Und Fertility erzählt, wie die Rettungsboote dann verschwunden waren. Alle Rettungsboote waren weg, und das Schiff zog das leere Tauwerk der Rettungsboote durch den entspannten karibischen Abend. Die Rettungsboote ruderten in den Sonnenuntergang, die Leute in ihren orangefarbenen Schwimmwesten bejammerten lautstark den Verlust ihrer Juwelen und Medikamente. Und sie machten das Kreuzzeichen.
Fertility und ich, eins, zwei, drei, Walzerschritt, zwei, drei über den Marmorboden.
In ihrer Geschichte tanzten Fertility und Trevor durch den Versailles-Saal, dessen Mahagoniparkett sich immer schiefer neigte, während der Bug versank und das Heck die beiden vierblättrigen Kleeblätter der Schiffsschrauben in den Abendhimmel reckte. Eine Schar kleiner vergoldeter Tanzsaalstühle huschte an ihnen vorüber und sammelte sich unter einer Statue der römischen Mondgöttin Diana. Schief hingen die goldenen Brokatvorhänge vor den Fenstern. Sie waren die letzten Passagiere an Bord der SS Ocean Excursion.
Die Turbinen liefen noch, die rosa Kronleuchter nämlich – »Ganz normale Kronleuchter«, sagt Fertility, »nur dass sie auf einem Ozeandampfer starr wie Eiszapfen von der Decke hängen« – die Kronleuchter im Versailles-Saal also strahlten noch, und die Lautsprecher überschwemmten das Schiff mit knisternder Musik: Ein Fahrstuhlwalzer reihte sich an den anderen, und Trevor und Fertility zogen endlos dazu ihre Kreise.
So wie Fertility und ich jetzt unsere Kreise ziehen, auf der Stelle treten und wieder Fußspitze an Fußspitze dutch das Mausoleum gleiten.
Unter Deck stieg die Karibik im Trianon-Speisesaal und nässte hundert leinene Tischtücher.
Das Schiff trieb antriebslos dahin.
Das warme blaue Wasser
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