Flug 2039
anderen Familien der Kirchenkolonie bekamen exakt dieselbe Frisur.
In der bösen Außenwelt nennt man das Standardisierung.
Mein Bruder sagte mir, ich solle nicht lächeln, sondern gerade stehen und alle Fragen mit klarer Stimme beantworten.
In der Außenwelt nennt man das Marketing.
Meine Mutter legte mir in einer Tasche die Kleider zusammen, die ich mitnehmen sollte. Wir alle taten in dieser Nacht so, als schliefen wir.
In der bösen Außenwelt, erklärte mir mein Bruder, gebe es Sünden, die die Kirche nicht genug kenne, um sie zu verbieten. Ich konnte es kaum erwarten.
Am nächsten Abend fand unsere Taufe statt, und wir alle taten, was von uns erwartet wurde. Und das war’s. Gerade als man bereit war, sich den kleinen Finger und auch den Finger des Nebenmanns abzuhacken, passierte gar nichts mehr. Nachdem man betastet und befühlt und gewogen und über Bibel und Haushaltsarbeit ausgefragt worden war, wurde einem nur noch gesagt, dass man sich anziehen solle.
Man ging samt seiner Tasche mit den zusätzlichen Kleidern hinein, und dann verließ man das Versammlungshaus und stieg in einen draußen wartenden Lastwagen.
Der Lastwagen fuhr in die böse Außenwelt hinaus, in die Nacht hinaus, und niemand, den man kannte, würde einen jemals wiedersehen.
Nie erfuhr man, wie gut man abgeschnitten hatte.
Auch wenn man wusste, dass man gut gewesen war, hielt dieses gute Gefühl nicht lange an.
Draußen wartete bereits eine Arbeitsstelle.
Gott behüte, dass man sich jemals langweilte und mehr haben wollte.
Es gehörte zu den Kirchengrundsätzen, dass man für den Rest seines Lebens dieselbe Arbeit verrichtete. Und immer allein. Nichts würde sich ändern. Tag für Tag. Das war Erfolg. Das war der Preis.
Den Rasen mähen.
Und den Rasen mähen.
Und den Rasen mähen.
Wiederhole.
Kapitel 33
Auf dem Weg zu unserem dritten Rendezvous sitzen Fertility und ich vor irgendeinem Typ im Bus und bekommen einen Witz erzählt.
Es herrschen über dreißig Grad, viel zu heiß für Juni; die Busfenster sind geöffnet, und von dem Verkehrsgestank ist mir ein bisschen schlecht. Die Plastiksitze sind so heiß, dass man sich wie in der Hölle fühlt, wenn man sie anfasst. Es war Fertilitys Idee, mit dem Bus in die Stadt zu fahren. Zu einem Rendezvous, wie sie sagte. In der Stadt. Es ist Nachmittag, also fahren nur Arbeitslose oder Nachtarbeiter oder Verrückte, die unter dem Tourette-Syndrom leiden, durch die Gegend.
Sie macht dieses Rendezvous nur mit, weil sie nicht mit mir schlafen will, nicht einmal küssen, ausgeschlossen, niemals.
Der Typ hinter uns ist für mich nur eine gesichtslose Gestalt. Völlig unauffällig, bloß irgendwer im Hemd. Blond. Wenn ihr nachfragt, würde ich sagen müssen, er war hässlich. Weiß nicht mehr. Der Bus hält vor dem Mausoleum alle fünfzehn Minuten, und wir sind einfach eingestiegen. Wir haben uns wie immer an der Grabnische Nummer 678 getroffen.
Aber an den Witz erinnere ich mich. Der Witz ist ziemlich alt. Draußen ziehen die Häuser der Stadt vorbei, hinter Autos, die am Bordstein parken, und zwischen Zäunen, die Grundstücksgrenzen markieren, und der Witzbold beugt sich vor, schiebt den Kopf zwischen Fertility und mich und flüstert: »Was ist schwerer, als ein Kamel durch ein Nadelöhr zu treiben?«
Diese Witze sind alle überholt. Egal, wie wenig komisch sie aber sind, man kann ihnen nicht entgehen.
Fertility und ich antworten mit Schweigen.
Worauf der Witzbold flüstert: »Eine Lebensversicherung für ein Mitglied der Credisten-Kirche abzuschließen.«
Es ist so, dass über diese Witze niemand außer mir lacht, und ich lache auch nur, damit ich dazugehöre. Ich lache, damit ich nicht dazugehöre. Meine größte Sorge in der Öffentlichkeit ist die, dass die Leute mich als Überlebenden erkennen. Die Kirchentracht habe ich vor Jahren abgelegt. Gott behüte, dass ich wie diese blöden Verrückten im Mittleren Westen aussehe, die sich damals alle umgebracht haben, weil sie glaubten, ihr Gott hätte sie nach Hause abberufen.
Meine Mutter, mein Vater, mein Bruder Adam, meine Schwestern, meine anderen Brüder, sie alle sind tot und begraben und werden belächelt, aber ich bin am Leben. Ich muss weiter in dieser Welt leben und mit den Menschen auskommen.
Also lache ich.
Weil ich irgendetwas tun muss, irgendein Geräusch machen muss, schreien, brüllen, schluchzen, fluchen, heulen, lache ich. Das sind alles nur verschiedene Arten, seine Gefühle rauszulassen.
Solche Witze hört
Weitere Kostenlose Bücher