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Flug 2039

Flug 2039

Titel: Flug 2039 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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würden Fertilitys Körpersprache jetzt so deuten, dass sie sauer auf mich ist, weil ich gelacht habe. Sie hat die Beine übereinander geschlagen. Sie starrt aus dem Fenster, als wäre zwischen uns plötzlich alles anders.
    Laut meinem Terminkalender müsste ich jetzt den Fußboden im Esszimmer bohnern. Die Dachrinnen säubern. Einen Ölfleck in der Einfahrt entfernen. Den Spargel für das Abendessen schälen.
    Ich dürfte jetzt nicht mit einer reizenden wütenden Fertility Hollis zusammen sein, auch wenn ich ihren Bruder umgebracht habe und sie sich nachts von meiner Stimme am Telefon aufgeilen lässt, mich aber als Mensch nicht ausstehen kann.
    Die Wahrheit ist: Es ist völlig egal, was ich jetzt eigentlich tun sollte. Was irgendein Überlebender noch tun sollte. Dem Glauben nach, in dem wir erzogen wurden, sind wir alle verdorben, böse und unrein.
    Die Luft, die im Bus mit uns durch die Stadt fährt, ist heiß und dick, vermischt mit hellem Sonnenschein und brennendem Benzin. Blumen, draußen in die Erde gepflanzt, ziehen vorbei: Rosen, die duften müssten, rote, gelbe, orangefarbene, alle Blüten geöffnet, aber vergeblich. Der sechsspurige Verkehr fließt gnadenlos wie ein Fließband.
    Solange wir noch am Leben sind, können wir alles nur falsch machen.
    Man hat das Gefühl, keine Kontrolle zu haben. Das Gefühl, ausgeliefert zu sein. Ausgeliefert zu werden.
    Wir reisen nicht. Wir werden weitergeleitet. Eigentlich warten wir nur. Es ist nur eine Frage der Zeit.
     
    Da wäre nichts, was ich richtig machen könnte, und da draußen läuft mein Bruder rum und will mich töten.
    Links und rechts werden die Hochhäuser immer höher. Der Verkehr wird langsamer. Fertility greift nach oben, zieht an der Klingelschnur, kling, und als der Bus hält, steigen wir vor einem Kaufhaus aus. Künstliche Männer und Frauen sind in den Schaufenstern aufgestellt und tragen Kleider. Lächeln. Lachen. Tun so, als amüsierten sie sich prächtig. Ich weiß genau, wie sie sich fühlen.
    Ich selbst trage bloß Hosen und ein kariertes Hemd, aber die Sachen gehören dem Mann, für den ich arbeite. Den ganzen Vormittag habe ich oben verschiedene Kleiderkombinationen anprobiert und bin immer wieder zu der Sozialarbeiterin, die währenddessen mit dem Staubsauger die Lampenschirme säuberte, nach unten gegangen, um sie nach ihrem Urteil zu fragen.
    Fertility sieht nach der großen Uhr über dem Eingang des Kaufhauses und sagt: »Beeil dich. Um zwei Uhr müssen wir da sein.«
    Sie nimmt meine Hand in ihre, die erstaunlich kalt ist, selbst bei dieser Hitze, kalt und trocken, und wir schieben uns durch den Eingang ins klimatisierte Erdgeschoss, in dem auf Tischen und hinter verschlossenen Glaskästen haufenweise Waren zum Verkauf ausgelegt sind.
    »Wir müssen in die fünfte Etage«, sagt Fertility und zieht mich mit fester Hand weiter. Wir stürmen die Rolltreppe hinauf. Zweite Etage: Herren. Dritte Etage: Kinder. Vierte Etage: Teenager. Fünfte Etage: Damen.
    Aus Löchern in der Decke kommt Musik vom Band. Ein Cha-Cha-Cha. Zwei langsame Schritte und drei schnelle. Kreuzschritt und eine Drehung der Partnerin. Das hat Fertility mir beigebracht.
    Irgendwie habe ich mir das Rendezvous anders vorgestellt. Gestelle mit Kleidern an Bügeln. Verkäuferinnen, ziemlich gut gekleidet, fragen, ob sie behilflich sein können. Das alles sehe ich nicht zum ersten Mal.
    Ich frage Fertility, ob sie hier mit mir tanzen will.
    »Moment«, sagt Fertility. »Warte noch.«
    Dann passiert etwas. Als Erstes rieche ich Rauch.
    »Da hinten«, sagt Fertility und führt mich in einen Wald aus langen Kleidern.
    Als Nächstes schrillen Alarmglocken. Leute begeben sich zu den Rolltreppen und steigen sie wie normale Treppen hinunter, weil sie angehalten haben. Manche steigen die sonst aufwärts fahrenden Rolltreppen hinunter, was wie ein Gesetzesverstoß aussieht. Eine Verkäuferin leert ihre Kasse in eine Tasche mit Reißverschluss und sieht zu ein paar Leuten hinüber, die vor den Aufzügen stehen und – bepackt mit großen glänzenden Einkaufstüten, in denen gefaltete Kleider stecken – auf die Stockwerksanzeigen starren.
    Die Glocken schrillen weiter. Der Rauch ist schon so dick, dass wir ihn unter den Deckenlampen wallen sehen.
    »Nicht die Aufzüge«, ruft die Verkäuferin. »Bei einem Feuer funktionieren die Aufzüge nicht. Nehmen Sie die Treppe.«
    Sie rennt, die Tasche unter den Arm geklemmt wie ein Footballstürmer, durch das Labyrinth aus Kleiderständern zu

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