Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flug 2039

Flug 2039

Titel: Flug 2039 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
Vom Netzwerk:
bleibt verschwunden.
    Auf nahezu allen öffentlichen Herrentoiletten sind in die Trennwände zwischen den einzelnen Kabinen Löcher gebohrt beziehungsweise eher gekratzt. Irgendwelche Leute kratzen mit den bloßen Fingernägeln Löcher in dieses zolldicke Massivholz. So etwas muss Tage, ja Monate in Anspruch nehmen. Man sieht diese Löcher auch in Marmor- und Stahlwänden. Wie Spuren von Ausbruchsversuchen im Gefängnis. So ein Loch ist groß genug, dass man hindurchsehen oder -sprechen kann. Man kann auch einen Finger, die Zunge oder den Penis hindurchstecken, um also wenigstens immer mit einem kleinen Teil des Körpers auszubrechen.
    Solche Offnungen werden »glory holes« genannt.
    Mit demselben Ausdruck bezeichnet man auch eine Goldader.
    Weil man da alle Pracht und Herrlichkeit findet.
    Ich sitze auf der Toilette im Flughafen von Miami, und neben mir ist so ein Loch in der Kabinenwand, und um das Loch herum haben Männer, die hier vor mir gesessen haben, ihre Botschaften eingegraben.
    John M war hier, 14/3/64.
    Carl B war hier, 8. Jan. 1976.
    Grabinschriften.
    Manche sind noch ganz frisch. Manche sind übermalt, aber so tief eingekratzt, dass sie durch Jahrzehnte von Farbe immer noch lesbar sind.
    Tausend Augenblicke haben hier ihre Schatten hinterlassen, tausend Stimmungen, Bedürfnisse, an die Wand geschrieben von Männern, die längst verschwunden sind. Hier ist der Beleg, dass sie da gewesen sind. Sie sind gekommen. Sie sind gegangen. Die Sozialarbeiterin würde von Primärquellen sprechen.
    Eine Geschichte des Unannehmbaren.
    Hier kriegst du gratis einen geblasen. Samstag, 18. Juni 1973.
    All das ist in die Wand gekratzt.
    Worte ohne Bilder. Sex ohne Namen. Bilder ohne Worte. Eine nackte Frau, die langen Beine weit gespreizt, dicke runde Brüste, lange wehende Haare und kein Gesicht.
    Ein freischwebender mannsgroßer Penis spritzt riesige Tropfen auf ihre haarige Vagina.
    Der Himmel, steht dort geschrieben, hängt voller Mösen.
    Himmel ist ein Schwanz im Arsch.
    Fahr zur Hölle, Schwuchtel.
    Da war ich schon.
    Friss Scheiße.
    Hab ich schon.
    Das sind nur einige wenige der Stimmen hier, aber plötzlich flüstert eine richtige Stimme, eine Frauenstimme: »Du brauchst mal wieder eine Katastrophe, stimmt’s?«
    Die Stimme kommt durch das Loch, aber als ich nachsehe, sind da nur zwei geschminkte Lippen. Rote Lippen, weiße Zähne, ein Stückchen feuchter Zunge. »Ich wusste, dass du hierher kommen würdest. Ich weiß alles.«
    Fertility.
    In dem Loch klebt jetzt ein graues Auge, vergrößert mit blauem Lidschatten und Eyeliner und blinzelnden, dick mit Mascara bestrichenen Wimpern. Die Pupille weitet sich erst und wird dann ganz klein. Dann scheint der Mund zu sagen: »Hetz dich nicht. Dein Flugzeug hat ein paar Stunden Verspätung.«
    An der Wand neben dem Mund steht: Ich lutsche und schlucke.
    Daneben steht: Ich will sie nur lieben, aber sie lässt mich einfach nicht.
    Der Anfang eines Gedichts: Warm in dir ist die Liebe … Der Rest des Gedichts von Ejakulat verwischt.
    Der Mund sagt: »Ich habe hier einen Termin.«
    Ihr schlimmer Job.
    »Mein schlimmer Job«, sagt sie. »Viel zu tun.«
    Darüber reden wir nie.
    »Ich will nicht darüber reden«, sagt sie.
    Gratuliere, flüstere ich. Zu den Killerbienen, meine ich.
    An der Wand steht: Wie nennt man ein Credistenmädchen, das gern einen bläst?
    Tot.
    Wie nennt man einen credistischen Schwulen, der sich in den Arsch ficken lässt?
    Der Mund sagt: »Du brauchst dringend eine Katastrophe, stimmt’s?«
    Eher gleich fünfzehn bis zwanzig, flüstere ich.
    »Nichts da«, sagt der Mund. »Du entwickelst dich wie alle anderen, denen ich jemals vertraut habe«, sagt sie. »Du wirst gierig.«
    Ich will doch nur Menschen retten.
    »Du bist gierig und stur.«
    Ich will Menschen vor Katastrophen retten.
    »Du bist wie ein Hund, der Männchen macht.«
    Ich mache das nur, damit ich mich umbringen kann.
    »Ich will nicht, dass du stirbst.«
    Warum?
    »Warum was?«
    Warum will sie, dass ich lebe? Etwa, weil sie mich mag?
    »Nein«, sagt der Mund. »Ich hasse dich zwar auch nicht, aber ich brauche dich.«
    Aber sie mag mich nicht?
    Der Mund sagt: »Hast du eigentlich eine Vorstellung davon, wie langweilig es ist, ich zu sein? Immer alles schon von weitem kommen zu sehen? Das ist kaum zu ertragen. Nicht nur für mich allein.«
    Der Mund sagt: »Das ödet uns alle an.«
    Die Wand sagt: Ich habe Sandy Moore gefickt.
    Rund herum haben zehn andere gekratzt: Ich auch.
    Und dazu

Weitere Kostenlose Bücher