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Flug 2039

Flug 2039

Titel: Flug 2039 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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mich an und wechselt dann erst einmal zur Werbung. Sie bringt mich mit den Anrufern zusammen, die mir Fragen stellen. Der Teleprompter gibt mir die Antworten vor. Die Leute können gebührenfrei anrufen. Helfen Sie mir. Heilen Sie mich. Raten Sie mir. Hören Sie mir zu. Dasselbe wie die nächtlichen Telefonate früher in meiner schicken Wohnung, nur dass es jetzt landesweit gesendet wird.
    Messias. Heiland. Erlöse uns. Rette uns.
    Die Beichten, die ich in meiner Wohnung gehört habe, die Beichten, die ich im Fernsehen höre – sie alle sind nicht viel anderes als das, was ich jetzt hier im Cockpit dem Flugschreiber erzähle. In meinem Beichtstuhl.
    Bei den Medikamenten, die ich in diesem Stadium meiner Karriere schlucken musste, um nachts schlafen zu können, möchte man die Packungsbeilage lieber nicht lesen. Unter den Nebenwirkungen ist keine zu finden, die man im Fernsehen bringen sollte.
    Erbrechen, Blähungen, Durchfall.
    Weitere Nebenwirkungen: Kopfschmerzen, Fieber, Benommenheit, Hautausschlag, Schweißausbrüche.
    Ich konnte sie alle abhaken:
    Dyspepsie.
    Verstopfung.
    Unwohlsein.
    Schlafsucht.
    Geschmacksstörungen.
    Mein Fitnesstrainer sagt, das Primabolin sei schuld daran, dass mir der Kopf brummt. Dass mir die Hände zittern. Dass ich im Nacken schwitze. Wechselwirkung mit anderen Medikamenten.
    Mein Fitnesstrainer sagt, das tue mir gut. Ich sitze hier herum und nehme ab.
    Mein Fitnesstrainer sagt, um an illegale Anabolika heranzukommen, besorgt man sich am besten eine an Leukämie erkrankte Katze, geht mit ihr zu diversen Tierärzten und lässt sich Fertigspritzen mit Tier-Anabolika verschreiben, die kein bisschen schlechter sind als die für Menschen hergestellten. Wenn die Katze lang genug lebt, sagte er, kann man sich einen Vorrat für ein ganzes Jahr anlegen.
    Als ich ihn fragte, was denn dann aus der Katze werde, fragte er zurück, was ihn denn das angehe.
    Die Moderatorin sitzt mir gegenüber. Ihre Beine wirken im Verhältnis zum übrigen Körper nicht allzu lang. Sie zeigt gerade genug Ohr, dass man ihre Ohrringe sehen kann. Alle ihre Probleme sind verborgen. Alle ihre Makel liegen unter der Oberfläche. Sie verströmt, auch mit ihrem Atem, nur einen einzigen Geruch, den von Haarspray. Ihre Haltung, wie sie im Sessel hockt, ein Bein überm andern, die Hände im Schoß gefaltet, ist kaum ein Vorbild für gutes Sitzen, sondern gleicht eher einem menschlichen Origami.
    Den Regieanweisungen entsprechend sitze ich in der Insel aus heißem Licht auf einem Sofa, umgeben von Fernsehkameras und Kabeln und stummen Technikern, die im Dunkeln ihre Arbeit verrichten. Der Agent steht mit verschränkten Armen im Hintergrund und starrt auf seine Uhr. Er dreht sich zu den Autoren um, die allerletzte Änderungen in dem Text anbringen, der dann auf dem Teleprompter erscheint.
    Auf einem kleinen Tisch neben dem Sofa steht ein Glas Eiswasser, und als ich es nehme, zittert mir die Hand so sehr, dass die Eiswürfel klappern, worauf der Agent den Kopf schüttelt und mit den Lippen ein stummes Nein formt.
    Wir zeichnen auf.
    Die Moderatorin sagt, sie könne meinen Schmerz nachempfinden. Sie habe meine Autobiographie gelesen. Sie wisse um meine Erniedrigung. Sie habe alles über die erniedrigende Tortur gelesen, die es für mich gewesen sein müsse, als nackter Sklave verkauft zu werden, nackt. Ich mit meinen siebzehn oder achtzehn Jahren, angestarrt von sämtlichen Mitgliedern meiner Sekte, nackt. Ein nackter Sklave, sagt sie, versklavt. Nackt.
    Ich sehe den Agenten irgendwo im Dunkel hinter der Moderatorin stehen, wo er von den Autoren umringt ist. Bekleidet.
    Auf dem Bildschirm des Teleprompters neben dem Agenten lese ich: Es HAT MICH TIEF VERLETZT, NACKT WIE EIN SKLAVE VERSTEIGERT zu WERDEN.
    Auf dem Teleprompter steht: ICH HABE MICH ZUTIEFST GEDEMÜTIGT GEFÜHLT.
    Auf dem Teleprompter steht: ICH HABE MICH MISSBRAUCHT UND BESCHMUTZT GEFÜHLT … BESUDELT.
    Die Autoren drängen sich um den Teleprompter und sprechen stumm das mit, was ich laut ablese.
    Während ich das alles unter den Augen der Kameras vorlese, blickt die Moderatorin ins Dunkel, wo der Regisseur steht, und tippt sich aufs Handgelenk. Der Regisseur hebt erst zwei Finger, dann acht. Ein Techniker tritt ins Licht und streicht der Moderatorin eine Locke hinters Ohr zurück.
    Der Teleprompter sagt mir: ICH WURDE SEXUELL MISSBRAUCHT. SEXUELLER MISSBRAUCH WAR UNTER DEN MITGLIEDERN DER CREDISTISCHEN SEKTE ETWAS ALLTÄGLICHES. INZEST
    GEHÖRTE ZUM ALLTAG ALLER

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