Flug ins Feuer
Magen.« Er spülte nach, hob den Kopf und begegnete ihrem Blick im beschlagenen Spiegel vor sich.
Das Wasser wurde immer kälter.
Lyndie stand immer noch an die Fliesen gepresst und beobachtete ihn. Sie hatte keine Ahnung, was so sexy daran war, wie er sich die Zähne putzte. Sie hielt sich für eine gute Menschenkennerin. Das hatte sie von ihrem Großvater geerbt, der stets behauptet hatte, die seelische Stärke eines Menschen allein durch einen Blick in dessen Augen abschätzen zu können.
Lyndie hatte keinen Zweifel an Griffins seelischer Stärke. Er war hier. Egal aus welchem Grund, er war freiwillig hier, setzte sein Leben aufs Spiel, weit weg von zu Hause. Sie hatte gestern viel über seinen Charakter gelernt, als er wie selbstverständlich und ganz instinktiv über ihre Sicherheit gewacht hatte und auch über die jedes anderen.
Und dann war da noch der gestrige Abend. Er hätte es einfach tun können, sich einfach fallen lassen können in das, was sie ihm nur zu gern gegeben hätte, aber er hatte es nicht getan. Und das faszinierte sie. Gleichfalls ängstigte es sie auf eine Weise, die sie nicht recht verstand.
Er war fertig mit dem Mundausspülen und begegnete ihrem Blick im Spiegel. »Was geht jetzt wohl gerade in deinem Kopf vor?«, fragte er.
»Ich frage mich immer noch, wieso ich dieses Wochenende überhaupt hier bin.«
Er drehte den Wasserhahn ab. »Hmmm.«
»Ich hatte frei, musst du wissen. Ich musste dich einfach
nur hier absetzen.« Sie zuckte mit den Achseln. »Dich absetzen und abhauen. Das waren meine Instruktionen. Dann hätte ich zurückfliegen können nach San Diego.«
»Und dennoch bist du geblieben.«
»Und dennoch bin ich geblieben«, pflichtete sie ihm bei und verschränkte die Arme über Eck gegen die Fliesenwand, so dass sie ihr Kinn auf die Hände stützen konnte, während das Wasser auf sie strömte.
Kaltes Wasser. Und es machte ihr nichts aus. »Ich blieb, obgleich es mir gegen den Strich ging.«
»Wieso widerstrebt es dir, einer Stadt zu helfen, die du liebst?«
Sie wusste es nicht. Sie wollte alles entweder schwarz oder weiß haben, und sie tat ihr Bestes, dass es in ihrem Leben so war. Griffin, wie auch San Puebla, waren nicht schwarz oder weiß, sondern eine unbeschreibliche Mischung, die sie nicht recht einschätzen konnte. »Helfen geht mir nicht gegen den Strich«, sagte sie. »Bleiben schon.«
Er legte seine Zahnbürste ab und drehte sich zu ihr um, und obgleich er mühelos einen Blick auf sie hätte erhaschen können, blieben seine babyblauen Augen nur an ihrem Gesicht haften. »Warum?«
»Ich bin ein typisches Militärkind. Wir sind nie lange genug irgendwo geblieben, um uns richtig niederzulassen, erst recht nicht lange genug, um einen Ort richtig lieb zu gewinnen. Aber hier...« Sie zuckte die Achseln. »Ich habe mich hier ein wenig niedergelassen, und das ist mir unheimlich.«
»Warum?«
»Weil du, sobald du etwas lieb gewonnen hast, verletzt werden kannst.«
Seine Stimme war plötzlich geradezu erschreckend sanft. »Hat jemand dich verletzt, Lyndie?«
»Nicht absichtlich, nein. Aber… Menschen verlassen einen irgendwann.« Weil dies ein schockierendes Eingeständnis war, wandte sie ihr Gesicht ab und hielt es unters Wasser. »Und ich habe keine Ahnung, warum ich dir das gerade erzählt habe.«
»Weil das Wasser kalt geworden ist und dir das Gehirn wegfriert, aber du bist viel zu dickköpfig, dies zuzugeben.« Er griff in die Dusche, sein Arm streifte ihre Schulter und den Rücken, als er die Dusche abstellte.
Junge, Junge. Sie griff nach ihrem Handtuch und wickelte es um sich, darauf achtend, dass ihr gesamter Körper, der erstaunlicherweise hellwach und absolut bereit war, bedeckt war.
Erst dann zog sie den Vorhang zurück, trat aus der Dusche und stand vor ihm, während ihr das Wasser aus den Haaren über die Glieder rann.
Sein großspuriges, provozierendes Lächeln war lange verschwunden.
Sie war ziemlich sicher, dass sie selbst nicht einmal dann hätte lächeln können, wenn es um ihr Leben gegangen wäre.
Seine Stimme war heiser. »Lyndie...«
»Ich muss es einfach fragen«, flüsterte sie in dem dampfenden Raum. »Welche Dämonen haben dich gestern verfolgt und werden dich auch heute wieder verfolgen, als du dich dem Feuer nicht stellen wolltest, es aber trotzdem getan hast?«
Lange Zeit schwieg er, dann schüttelte er langsam den Kopf. »Das ist kompliziert.« Er streckte den Arm aus und fuhr ihr mit einem Finger über das feuchte Kinn.
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