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Flugasche

Flugasche

Titel: Flugasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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schien ihn zu amüsieren. Vielleicht sah er in Gedanken alle Kraftwerker im großen Kulturraum sitzen, in blauen Monturen, mit schmutzigen Händen und Gesichtern, wie man eben aussieht, wenn man seinen Arbeitsplatz für eine Stunde oder zwei verläßt. Der Minister würde in seinem großen schwarzen Auto vorfahren, würde nicht im Präsidium Platz nehmen, denn sie hätten keins aufgebaut. Er würde an einem der Tische sitzen wie sie alle und ihre Fragen beantworten. Die Einschätzung der weltpolitischen Lage könnte der Minister sich diesmal sparen, die Würdigung der Erfolge auch. Er sollte ihnen nur erklären, welche Havarie in der staatlichen Planung verhinderte, ihr altes unsicheres Kraftwerk stillzulegen. Falls der Minister einen triftigen Grund nennen könnte, wollten sie mit sich reden lassen. Von Energieversorgung verstanden sie was, er würde ihnen nichts vormachen können.
    Hodriwitzkas Wangen röteten sich, die Augen glänzten, wodurch er noch kindlicher aussah. »Aber es kann sich doch nicht einfach einer von uns hinsetzen und an den Minister schreiben«, sagte er. Ich wußte auch nicht, wie Hodriwitzka es machen sollte, was ich ihm in meiner Wut über diese dreckige Stadt vorgeschlagen hatte, ohne daß er konterrevolutionärer Umtriebe verdächtigt wurde. Ich war nur überzeugt, es mußte möglich sein. Also sagte ich, diese Einladung an den Minister müsse die Gewerkschaft schicken.
    »Ach so«, sagte Hodriwitzka ernüchtert. Du hättest seinem Gesicht ansehen können, wie er den Platz im großen Kulturraum ohne Präsidium verließ und sich auf dem nackten Bürostuhl im Zimmer des Ingenieurs wiederfand. »Ach so«, sagte er noch einmal, »na, dann wirds nichts. Unser Vertrauensmann traut sich nichts.«
    Es war das alte Lied. Sie wählen den Dümmsten oder den Feigsten, weil der sich wählen läßt, und später, wenn der ein dummer oder feiger Vertrauensmann geworden ist, schimpfen sie auf die Gewerkschaftsfunktionäre, die alle dumm oder feige sind.
    Warum sie ihn gewählt hätten, fragte ich.
    »Der andere wollte nicht mehr«, sagte Hodriwitzka. Sie hätten einen gehabt, einen Rothaarigen mit Sommersprossen. »Der war ein richtiger Anarchist«, meinte Hodriwitzka. »Der hat was geschafft, warmes Essen in der Nacht, renovierte Waschräume und Garderoben. Aber dem haben sie ewig was am Zeuge zu flicken gehabt. Bis er die Nase voll hatte.«
    Hodriwitzka sah auf die Uhr. Er müsse nun gehen, sagte er, stand langsam auf, rückte seinen Stuhl ordentlich an den Schreibtisch, stand unschlüssig im Raum. »Tja, dann werd ich mal.« Jetzt hat er genug von meinen Volksreden, dachte ich. Ich fühlte mich lächerlich. Was hatte ich mir eigentlich gedacht, kam aus meinem vollklimatisierten Großraum in diese Höhle und wollte den Leuten beibringen, wie sie zu leben haben. »Sonst verderben Sie die ganze Demokratie!« Dümmer ging es nicht. Als würden Hodriwitzka oder sein rothaariger Anarchist die Demokratie verderben. Hätte ich mich bloß nicht wie ein Wanderprediger aufgespielt, der gekommen war, die Auferstehung zu verkündigen.
    Hodriwitzka reichte mir seine schwere, viereckige Hand. »Auf Wiedersehen«, sagte er, und plötzlich, als hätte er sich mühsam überwinden müssen, fügte er hinzu: »Ich wollte mich bei Ihnen bedanken.« In mir zog es sich schmerzhaft zusammen, vor Freude und Betroffenheit. Man sähe manches nicht mehr, sagte Hodriwitzka, wenn man jeden Tag den gleichen Weg ginge. Ich hätte ihn auf ein paar Gedanken gebracht. Ich hätte heulen können oder ihn umarmen, oder küssen. Er hatte mich richtig verstanden. Verdächtigte mich nicht, ein Spinner zu sein, ein neunmalkluger Angeber oder hirnverbrannter Weltverbesserer.
    »Danke«, sagte ich. Dann verließ Hodriwitzka schnell das Zimmer.
    Der Ingenieur stand still lächelnd am Schrank. »Glauben Sie jetzt, daß ohne Leute wie Hodriwitzka das Kraftwerk längst zusammengebrochen wäre?« Mich ärgerte der Zynismus, der sich hinter dieser Bemerkung verbarg.
    Stell dir vor, Luise, Elli Meseke und Siegfried Strutzer erführen etwas von meinem Gespräch mit dem Heizer Hodriwitzka aus B. Was ist ein inhumaner Tunnel gegen einen Brief von tausend Kraftwerkern an den Minister? Oder ginge das selbst dir zu weit? Nein, sicher nicht. Ich werde dir die Geschichte erzählen, gleich nach der Sitzung, wenn Strutzer endlich seine letzten Bemerkungen zur Arbeitsdisziplin in unsere müden, gelangweilten Köpfe gehämmert hat.

IV.
    Ich hasse das alles:

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