Flugasche
einigen Hockern angepaßt ist, die um ihn herumstehen. An den Fenstern dunkelgrüne Cordsamtvorhänge. Sonst nichts.
Ulrike zieht sich einen Hocker dicht an meinen Sessel und sieht mich mit ihren vom Alkohol glitzernden Augen lange an.
»Sag mal, Josefa, warum willst du nicht wieder heiraten?«
Ach du lieber Gott, die alte Platte.
»Weil ich nicht hören kann, wenn jemand neben mir Äpfel kaut.«
Ulrike lächelt, mißbilligt aber offensichtlich meine schnöde Art, über ihr Heiligstes zu sprechen.
»Denkst du nie daran, wie du in zehn oder zwanzig Jahren leben willst?« fragt sie besorgt.
»Woher weißt du denn, wie du in zwanzig Jahren lebst? Vielleicht läßt sich dein Mann scheiden oder kriegt mit fünfundvierzig einen Herzinfarkt und stirbt.«
Ulrike sieht mich entsetzt an. »Du bist zynisch.« Fanatisch Verheiratete wie Ulrike sind wie alle Gläubigen. Sie fühlen sich persönlich gekränkt, sobald jemand ihren Glauben nicht teilt. Schon der Gedanke ist ihnen unerträglich. Ohne Rücksicht auf die Überzeugung des anderen attackieren sie ihn mit Lehrsätzen und Bekenntnissen, malen ihm in düstersten Farben aus, was alles geschehen könnte im Falle seiner Ungläubigkeit. Die einen drohen mit dem Fegefeuer, die anderen mit Sektierertum, Ulrike droht mit dem einsamen Alter. Wie Tante Ida, die dann Tränen hat in ihren hellblauen Augen.
Ulrike kann den größten Unfug erzählen, und jeder Mann wird es ihr nachsehen, weil ihre schmalschultrige weiche Erscheinung in ihnen sofort den Beschützer alarmiert, und sei es, um Ulrikchen vor ihrer eigenen Dummheit zu beschützen. Bestimmt mußte sie ihre Kohlen nicht allein aus dem Keller holen, als sie geschieden war. Ulrike kann auf eine so unvergleichlich hilflose Weise von einem tropfenden Wasserhahn erzählen, daß ihre Zuhörer nach kurzer Zeit überzeugt sind, Ulrike lande mit Gewißheit im Nervensanatorium, sollte dieser stete Tropfen weiter in ihr zartes Köpfchen fallen. Sie empfinden aufrichtiges Mitgefühl, auch wenn sie selbst seit zehn Jahren den Schwamm hinter der Tapete abkratzen und jeden Dienstag auf dem Wohnungsamt sitzen. Aber so zarte Geschöpfe wie Ulrike brauchen einen Schonplatz im Leben.
Ich bin sicher, Frauen mit schmalen Schultern leben leichter. Und obwohl breite Schultern jetzt in Mode gekommen sind, kann ich mich mit meiner Anatomie nicht versöhnen.
Ulrike lächelt selig vor sich hin. »Weißt du, die Männer behandeln dich auch viel besser, wenn du verheiratet bist. Vor einer verheirateten Frau haben sie einfach mehr Achtung.«
Durch meinen Kopf rieselt warmer Schnee. Noch einen Korn, dann rieselt er durch den ganzen Körper bis in die Zehen. Sie hat ja recht, aber sie soll mich jetzt in Ruhe lassen mit ihren Bekehrungsversuchen. Ich habe doch nichts gegen das Heiraten. Und wenn ich noch drei Schnäpse trinke, verlobe ich mich auf der Stelle mit Hans Schütz oder Michael oder Günter Rassow. Ist doch egal mit wem, stimmt’s, Ulrike? Die Hauptsache ist: heiraten. Sofort würde ich wieder heiraten, wenn ich so schmale Schultern hätte wie Ulrike. Dann wäre ich wie sie zusammengebrochen als unverheiratete Frau. Zusammengebrochen oder auseinandergefallen. Nichts Sichtbares blieb damals an Ulrike, wie es war. Sie schminkte sich wie eine Operettensängerin, ließ ihr langes dunkles Haar kaltwellen, trug grelle Farben oder Lurex. Wir beobachteten diese plötzliche erschreckende Verwandlung fassungslos und widerwillig. Sogar ihre Stimme veränderte sich. Der frühere mädchenhafte Klang wurde übertönt von einer schrillen künstlichen Munterkeit, die sich hin und wieder in hohem Juchzen entlud. Ulrike kämpfte um eine neue Persönlichkeit. Ihre angestrengten Emanzipationsversuche erschöpften sich in grellen Äußerlichkeiten und demonstrativen Kneipenbesuchen. Ihre Tochter überließ sie dann ihrer Mutter. Bei jeder Gelegenheit erging sie sich, zu oft, um es tatsächlich so zu empfinden, über das unbekannte Glück der Freiheit, das sie nun kennenlernen und genießen wolle. Meistens endeten ihre Ausflüge in die Freiheit in fürchterlichen Weinkrämpfen. Zweimal war ich dabei, als Ulrike bei Reni plötzlich den Kopf auf den Tisch fallen ließ und losheulte. Warum sie weinte, wußte sie selbst nicht genau. Wahrscheinlich war ihr die Rolle, die zu spielen sie beschlossen hatte, zu anstrengend und zu qualvoll. Sie lebte ganz und gar gegen die Natur. Dieser Zustand dauerte ein Jahr, bis Ulrike einen neuen Mann fand, den sie drei Monate
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