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Flugasche

Flugasche

Titel: Flugasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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Geschäftsfrau. Sie prüft genau, was eine Sache einbringt, wägt die Gewinnchancen, kalkuliert das Risiko, sichert den Ausgleich, vorher. Für die nächste Woche hat sie ein Interview mit dem Stadtarchitekten einer Bezirksstadt eingeplant, das den aufgeregten Genossen Kunze gewiß besänftigen und von unserer Einsicht überzeugen wird.
    Luise holte eine Zellophantüte mit Lakritze aus ihrer Handtasche, steckte sich, nachdem sie es liebevoll betrachtet hatte, ein Stück in den Mund und reichte mir die Tüte hin, eine besondere Gunst, denn mit ihrer Lakritze ist Luise geizig.
    Elli Meseke erklärt versöhnlich, sie hielte meine Arbeit trotz dieser Einschränkung für sehr gelungen, und Luise sagt leise: »Na siehste.«
    Das konnte heißen: Na siehste, jetzt haben wir’s hinter uns; oder: na siehste, es geht doch, man muß sich nur traun; oder: na siehste, so schlimm ist die Dicke doch gar nicht … Weiß der Teufel, was sich hinter Luises Nasiehste alles verbergen kann. In jedem Fall aber ist sie zufrieden.
    Es war ja auch nur ein kleiner Seufzer, den ich über die Unterwelt der Fußgänger ausgestoßen hatte. Stell dir vor, Luise, ich hätte von meiner Begegnung mit dem Heizer Hodriwitzka aus B. berichtet. Aber davon habe ich bisher nicht einmal dir etwas erzählt, nur Christian. Der hat gelacht und gefragt, ob ich wirklich sicher sei, die Prinzipien der sozialistischen Demokratie richtig verstanden zu haben.
    Der Heizer Hodriwitzka aus B. ist ein kleiner, breitschultriger Mann, der auf den ersten Blick viereckig aussieht. Der gedrungene, massige Körper, der große kantige Schädel auf dem breitnackigen Hals, selbst die Hände mit den kurzen Fingern wirken viereckig. Um so mehr verwundern dich die weichen Linien in seinem runden Gesicht. Freundliche, naive Augen, die er nie zusammenkneift, wenn er dich ansieht, eine kleine, knollige Nase, breite, nicht lange Lippen. Er ist über vierzig, aber du kannst dir genau vorstellen, wie er als Kind ausgesehen hat, als er mit seinen Eltern noch in den Sudeten lebte. Ich lernte den Heizer Hodriwitzka kennen, als der leitende Ingenieur mich durch das Kraftwerk führte. Wir hatten ihn auf unserem Rundgang nicht getroffen, aber der Ingenieur meinte, wenn ich den Hodriwitzka nicht kenne, kann ich nicht verstehen, warum das Kraftwerk noch nicht zusammengebrochen ist. Ich hielt diese Floskel für einen mageren Scherz des leitenden Ingenieurs. Ich konnte nicht verhindern, daß der Ingenieur den Hodriwitzka telefonisch suchen und in sein Büro bestellen ließ. Es war mir peinlich, weil er ihn vorlud, als wäre ich ein Vorgesetzter oder eine Amtsperson und als wollte der Heizer Hodriwitzka mit mir sprechen und nicht ich mit ihm. Nach fünf Minuten kam er, Gesicht und Hände schwarz von der grubenfeuchten Kohle, die hier verheizt wurde. Er wischte die rechte Hand an seiner dunkelblauen Montur ab, ehe er sie mir mit entschuldigendem Lächeln reichte. Plötzlich, Luise, sah ich auf meine rechte Hand. Im gleichen Moment hätte ich unsichtbar sein wollen vor Scham. Heimlich, wie zufällig, hatte ich einen Blick auf meine rechte Hand geworfen. Nicht, weil ich mich vor dem Dreck geekelt hätte. Das war frischer, sauberer Kohlendreck, nicht der unsichtbare Staub auf einer schwitzigen Bürohand. Nein, mehr aus Neugier guckte ich, ob der Händedruck des Heizers Hodriwitzka seine Spuren hinterlassen hatte. Ich versuchte, die Geste zu kaschieren, indem ich mir an dem Ärmel meiner Bluse zu schaffen machte, sagte irgendeinen Blödsinn von zu engem Bund, spürte, wie mein Gesicht eine andere Färbung annahm. Hodriwitzka hatte seine schwarzen rissigen Hände auf den Schreibtisch gelegt. Er nahm sie zögernd wieder weg und hielt sich an den Kanten seines Stuhls fest, so daß die Hände nicht mehr zu sehen waren.
    »Also, Kollege Hodriwitzka«, sagte der Ingenieur, der von unserer Verlegenheit nichts zu bemerken schien, »das ist eine Kollegin von der Illustrierten Woche aus Berlin. Und wir haben Sie hergebeten, damit Sie der Kollegin von der Zeitung etwas über Ihre Arbeit hier im Kraftwerk erzählen. Nicht schöngefärbt. So, wie es ist.«
    »Dreckig ist’s«, sagte Hodriwitzka und lächelte mich aus seinen blanken braunen Augen an.
    Was sollte ich ihn fragen, Luise. Mir reichte, was ich gesehen hatte, uralte Anlagen, zugige Hallen, schwere, schmutzige Arbeit, gebeugte Männer in den Aschekammern, in denen nur Zwerge hätten stehen können, Frauen mit fünf Meter langen Feuerhaken vor den Öfen.

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