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Flugasche

Flugasche

Titel: Flugasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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herzerfrischenden Realismus, sagt Elli, obwohl – aha, jetzt kommt’s, hätte mich auch sehr gewundert – obwohl, das müsse sie der Wahrheit halber doch sagen, der Realismus manchmal etwas sehr weit gehe. Luise grinst mich mit schiefem Mundwinkel an und rollt die Augen.
    »Ich denke da an die Sache mit dem Tunnel und ähnliche Anspielungen. Ich meine, das geht zu weit«, sagt Elli mit der milden Strenge einer Unterstufenlehrerin.
    Ich hatte einen Beitrag über den Alex geschrieben und darin meinen Ärger über die zugigen, tristen Fußgängertunnel auf zehn Zeilen ausgebreitet, harmlos, ich hatte freiwillig darauf verzichtet, unsere Zukunft unter den gepanzerten Städten auszumalen, obwohl ich meine Visionen, die sich zeigten, sobald ich die Augen schloß und meiner Phantasie das Thema Städte und Autos in Auftrag gab, für durchaus mitteilenswert hielt. Auf der Erde dreistöckige Straßenzüge, in kunstvoller Statik über- und untereinandergeleitet, Serpentinen um Hochhäuser, Parkplätze auf Korridoren, Autoschleusen, Autolifts, in den Fenstern der alten Häuser Luftfilter statt der Glasscheiben, die neuen Häuser fensterlos, an den Fahrbahnrändern auf den Balustraden aus Beton in hohen Steintöpfen kümmerliche Bäumchen, die jede Woche ausgewechselt werden, länger leben sie nicht. Auf den achtspurigen Fahrbahnen käferförmige Einmannautos mit Hängevorrichtung für ein Kind, ein neues Modell, das entwickelt wurde, um die katastrophale Parkplatzlage zu mildern. Die Statistik wies in den letzten beiden Jahren einen sprunghaften Anstieg der Tötungsdelikte auf Grund von Parkplatzstreitigkeiten auf. Außer den Einsitzern die alten Viersitzer, die nur noch zu offiziellen Zwecken und als Taxen benutzt werden. Kinder dürfen ausschließlich in Autos mit leuchtend roter Warnfarbe fahren. Kindern unter acht Jahren ist das selbständige Führen eines Pkw gänzlich untersagt. Unter der Erde die Fußgängerkatakomben. Die Wände sonnengelb, die Decken himmelblau, der Fußboden grasgrün, es riecht nach Farbe. Überall Hinweisschilder auf Ausstiege, Geschäftstunnel, Arztpraxen, Großgaststätten, die auf allen ehemaligen U-Bahnhöfen eingerichtet wurden. Kinder toben in Spielzeugautos durch die Gänge, die kleinen Kinder haben Tretautos, die größeren fahren batteriebetriebene. Die Erwachsenen laufen langsam, sehr langsam, sie kriechen fast, manche tragen Stützschienen, andere stützen sich auf Krücken, viele haben krumme Rücken und muskellose hängende Bäuche. Alle hundert Meter ein Lift, der in eins der Parkhäuser führt. An einer gelben Wand steht in roter Farbe eine hastig gemalte Losung: Wir fordern ein öffentliches Verkehrsmittel!
    Elli lächelt mir milde zu. »Josefa, sicher wären Rolltreppen schöner. Aber ob in diesem Zusammenhang wirklich von einer inhumanen Konzeption gesprochen werden kann?«
    Rolltreppen, wer spricht von Rolltreppen. Da krauchen Menschen wie durch Madengänge von einer Straßenseite auf die andere, damit sie den Autos nicht vor den teuren Gürtelreifen herumspringen, und Elli Meseke will nur darüber nachdenken, wie man sie bequemer in ihre Kriechtunnel befördern kann.
    Luise murmelt vor sich hin: »Die mit ihrem dicken Hintern kann ja ruhig Treppen steigen.«
    Die »inhumane Konzeption« hat Luise schon ein knappes und denkwürdiges Telefongespräch eingebracht, obwohl Gespräch nicht die richtige Bezeichnung ist für einen Vorgang, der im Reden des einen und im Zuhören des anderen besteht.
    Ich war gerade in Luises Zimmer, als das Telefon klingelte.
    »Bezirksleitung«, zischelte Luise mir zu. Ein Ausdruck gespannter Konzentration breitete sich auf ihrem Gesicht aus und grub die Falten und Fältchen um eine Spur deutlicher in die Haut. »Am Apparat«, sagte sie.
    Von der anderen Seite hörte ich nichts, offenbar sprach der Genosse oder die Genossin leise. Dafür lange. Ich beobachtete Luises Gesicht, in dem die Spannung langsam von einem renitenten Lächeln verdrängt wurde.
    »Ist gut, Genosse … ist gut, wir werden darüber nachdenken.«
    Sie legte den Hörer langsam mit spitzen Fingern auf die Gabel, drehte sich mit dem schwarzen Kunstledersessel auf dem metallenen Hühnerbein zu mir und sagte, breit lächelnd: »Der Genosse Kunze empört sich über deine inhumanen Tunnel.«
    »Ich hab sie doch nicht gebaut.«
    »Reg dich bloß nicht auf«, sagte Luise wie zu ihrer eigenen Beruhigung, »es ist gedruckt, das ist die Hauptsache.«
    Luise kann rechnen wie eine

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