Flugasche
Was hätte ich den Heizer Hodriwitzka fragen können?
»Wohnen Sie gern in B.?« fragte ich.
Hodriwitzka saß verkrampft und plump auf seinem Stuhl, zuckte mit den Schultern, lächelte hilflos. Er sah mich an wie ein höflicher Chinese, mit dem man türkisch sprechen wollte. Ich hatte ihm wohl eine bemerkenswert dumme Frage gestellt.
Was kann ein Mensch auf diese einfältige Journalistenfrage schon antworten? Was könnte ich sagen auf die Frage, ob ich gern in diesem Land lebe.
»Wir haben gerade das Häuschen von den Schwiegereltern geerbt«, sagte Hodriwitzka, und damit schien für ihn die Frage, ob er gern oder ungern in B. lebe, beantwortet zu sein.
Und dann, Luise, hatte ich genug von dem peinlichen abgekarteten Arbeiter-Journalisten-Spiel. Der eine weiß, was der andere fragen wird, und der andere weiß, was der eine antworten wird, und der eine weiß, daß der andere weiß, daß der eine weiß.
Diese verkrampfte sinnlose Zirkusvorstellung, in der man sich gegenseitig begafft wie durch Gitter und jeder vom anderen denkt, der stünde im Käfig.
»Warum wehren Sie sich nicht?« fragte ich, »Sie sind doch schließlich die herrschende Klasse.«
Für Hodriwitzka, der nichts ahnen konnte von meinem spontanen inneren Protest gegen die Journalistenrolle, in der ich mich befand, kam die Frage unvermittelt. Er sah überrascht auf. »Wehren? Wogegen?«
»Gegen das alte Kraftwerk. Warum fordern Sie nicht die Stillegung?«
Der Ausdruck in Hodriwitzkas runden braunen Augen schwankte zwischen Unglauben, Belustigung und Interesse. »Das muß schon der Generaldirektor machen. Der soll wohl sogar schon einen Brief geschrieben haben«, sagte er und blickte sich dabei nach dem Ingenieur um, der schräg hinter ihm stand, an einen Schrank gelehnt, und die Auskunft durch Kopfnicken bestätigte.
»Ich bin hier nur ein kleines Licht«, fügte Hodriwitzka hinzu, nicht böse oder verbittert; eine Feststellung, bescheiden und sachlich. Aber zum Kombinat gehören tausend Kraftwerker. Du mußt nicht erschrecken, Luise, ich wollte ihn nicht zum Streik aufrufen. Aber Hodriwitzkas Gelassenheit provozierte mich und regte mich auf. Später erst begriff ich, wie wenig dieser scheinbare Gleichmut mit Gelassenheit zu tun hatte. »Und wie meinen Sie denn, daß so ein Protest aussehen müßte?« fragte Hodriwitzka lächelnd.
Sie müßten eine Erklärung verlangen, sagte ich, warum sie weiter in einem unsicheren, dreckspuckenden Kraftwerk arbeiten sollten, wenn ein neues gebaut wird. Und wenn der Betriebsleiter nicht antworten kann, müßten sie den Generaldirektor fragen. Und wenn der auch nichts weiß, sollten sie den Minister einladen, hierher, nach B.
Hodriwitzka rückte mit seinem Stuhl dichter an den Schreibtisch und stützte den Kopf in seine schwarzen Hände. »Man weiß ja nun nicht, was da alles reinspielt«, sagte er nachdenklich. »Wenn sie nicht stillegen, werden sie wohl nicht können. Mit Absicht werden sie uns ja nicht im Dreck sitzenlassen.«
»Aber erklären muß man es Ihnen«, redete ich auf ihn ein, »das müssen Sie verlangen. Verstehen Sie doch, das ist nichts Verbotenes, mit Streik hat das nichts zu tun. Im Gegenteil: Sie verderben sonst die ganze Demokratie.«
Hodriwitzka mußte lachen, und ich beteuerte ihm, wie ernst das sei. Seinen Generaldirektor könne der Minister mit ein paar Sätzen zur Ordnung und Disziplin rufen, ein Telefonat oder ein Brief, und dann ist Ruhe. Was soll ein Generaldirektor schon machen, wenn er Generaldirektor bleiben will. »Und was müssen Sie machen, wenn Sie Kraftwerker bleiben wollen?« fragte ich Hodriwitzka. Ich hatte erwartet, er würde auf diese Frage ironisch reagieren, auf seine Dummheit anspielen, in einer solchen Bruchbude überhaupt seine Haut zu Markte zu tragen. Aber er sah mich aufmerksam an, fast verwundert, und sagte leise: »Ich muß ja hier bleiben. Die finden ja keinen für die Arbeit. Ist ja sowieso jeder vierte Arbeitsplatz unbesetzt.«
»Denken Sie, der Minister weiß das nicht? Und glauben Sie, er würde es wagen, nicht zu kommen, wenn tausend Kraftwerker aus B. mit ihm über ihre Zukunft sprechen wollen?«
Hodriwitzka antwortete nicht. Er sah verlegen auf seine Hände, hob plötzlich den Kopf, sagte mehr zu sich selbst als zu mir: »Ohne das Kraftwerk läuft ja keine Anlage, im ganzen Werk nicht.« Dann lachte er kurz auf, schüttelte seinen eckigen Kopf, meinte, noch halb ungläubig: »Vielleicht würde er wirklich kommen, wer weiß.« Diese Vorstellung
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