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Flugasche

Flugasche

Titel: Flugasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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pfeifende Teekessel, vollgedampfte Küchen, verklebte Teller, verkrusteten Zucker in den Tassen, Fettaugen auf dem Abwaschwasser, Essenreste, vergessene Wurstpellen, die durch die Finger glitschen. Und kaum hat man den großen Berg abgetragen, häuft sich schon ein neuer. Sisyphus Nadler. Da klettern sie auf dem Mond herum, bedauern zutiefst, daß es noch nicht der Saturn ist, und ich stehe in einer kalten, nicht heizbaren Küche, zwei Pullover übereinander, Opalatschen an den Füßen, und kratze mit aufgeweichten Fingernägeln das Eigelb von den Tellern. Du mußt nur regelmäßig abwaschen, sagt Ida immer, einmal am Tag wenigstens, dann hast du die halbe Arbeit. So ein Quatsch, dann würde ich mich jeden Tag ekeln, so nur zweimal in der Woche.
    Das Telefon. Michael Timm, Cheflayouter der Illustrierten Woche, die Stimme klingt verdächtig fröhlich, der Lärm im Hintergrund auch.
    Sie sitzen bei Reni. Reni ist eine düstere Kneipe in einer Seitenstraße hinter dem Verlagsgebäude, die nach dem Umzug in den Neubau schnell und ohne Absprache zur Stammkneipe fast aller Redaktionen wurde. Es gibt hervorragende Knackwurst, man sitzt auf Stühlen aus Holz statt aus Plaste und Stahlrohr, und das plötzliche Erscheinen des Chefs ist in dieser finsteren Stampe kaum zu befürchten.
    »Abwaschen kannst du auch morgen«, sagt Michael, »komm her, wir feiern jetzt ein Fest.«

    Blind und taub stehe ich zwischen Qualm und Bierdunst und unartikuliertem Gegröle. Am Stehtisch gleich neben dem Eingang heben sich langsam drei Gestalten aus dem stinkenden Dunst ab, die aussehen, als hätte man ihre Ellenbogen auf der Tischplatte festgenagelt und hielte sie so auf den Beinen. Sie glotzen mich aus tränigen Augen an.
    »Hallo, Puppe«, grölt einer, reißt seinen Arm von der Tischplatte los, um nach mir zu greifen, stößt dabei sein volles Glas um und sieht traurig zu, wie das Bier vom Tisch auf seinen Bauch fließt, der sich unter einem braunen Nylonanorak wölbt.
    In der linken Ecke der vorderen Gaststube heben sich drei oder vier Arme. Ich erkenne Michael Timm an seinem hellblauen Hemd. Er trägt nur hellblaue Hemden aus derbem Leinen. Manche behaupten, er besäße nur eins, aber als ich ihn einmal besuchte, hingen allein sieben hellblaue Hemden im Bad auf der Leine. Ein achtes hatte er an. Die schöne Ulrike Kuwiak aus der Leserbriefabteilung sitzt neben ihm. Günter Rassow holt vom Nebentisch einen Stuhl und schiebt ihn zwischen Hans Schütz und Eva Sommer. Eva Sommer spricht mit ihrer rauhen Stimme gerade auf Fred Müller ein, der in sein Bierglas starrt und mit stereotyper Bewegung die schale Neige hin und her schaukelt. Fred Müller gilt als Trinker. Manche sagen, er hätte seine Scheidung nicht verwunden, andere behaupten, sie hätten diese Neigung an ihm schon vorher bemerkt. Nüchtern und im Stadium leichter Trunkenheit ist er zurückhaltend mit einem Hang zur Melancholie. Hans Schütz schiebt mir sein Glas zu: »Trink mal, sonst hältst du den Blödsinn nicht aus, den die von sich geben.«
    Ich kann kaum verstehen, worüber Michael Timm und Günter Rassow so verbissen miteinander streiten, aber es sieht beängstigend aus. Sie brüllen sich gegenseitig an, schlagen mit den Fäusten auf den Tisch, daß die Gläser hochspringen, unterbrechen sich ständig. Günter Rassow versucht, Michael mit seiner scharfen Stimme zu übertönen, indem er pedantisch genau artikuliert.
    »Das ist es doch«, brüllt Michael und sieht Günter Rassow dabei wütend an.
    Hans Schütz grinst genüßlich, während er die beiden genau beobachtet. »Das Komische ist«, sagt er, »die geben sich die ganze Zeit gegenseitig recht.«
    Plötzlich dröhnt Eva Sommers rauchige Stimme an mein Ohr: »Also hört mal, wohin gehen wir jetzt?«
    Der Abend verläuft gesetzmäßig. Irgendwann stellte irgendwer immer diese Frage, und dann endete es in einer Sauferei.
    Einen Korn und noch einen Korn, sie rieben sich die Gänsehäute von den Armen und tranken weiter. Manchmal hatten sie Angst, trösteten sich durch krampfhafte Scherze, wenn sie von ihrer Leber sprachen, die, Gott sei Dank, noch nie geschwollen war, führten todernste Erörterungen über die Grenze zwischen einem Alkoholiker und einem Geselligkeitstrinker, an deren Ende sie alle erleichtert feststellten, in keinem Fall als echte Alkoholiker bezeichnet werden zu können. Die Unsicherheit, langsam und unmerklich die Grenze vom geselligen Zecher zum süchtigen, einsamen, heimlichen Säufer zu

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