Flugasche
morgens nach einer durchsoffenen Nacht. Er schiebt sich einen Pfefferminzbonbon in den Mund, geht langsam zurück in die 16007. Zwei mal drei Meter.
Er ordnet die Eingangspost. Dann bleibt nichts mehr. Er setzt sich an den Schreibtisch. Schluckt an dem Ekel, der ihm in den Hals steigt, jeden Morgen. Er greift nach dem Glas im Schreibtisch, trinkt den Schnaps in einem Zug. Die nervös zuckende Muskulatur des Magens und der Speiseröhre entspannt sich, der Ekel läßt nach. Noch einen Schnaps, dann ist Ruhe in ihm, dann kann er gleichmütig, als handele es sich um mathematische Formeln, die Sätze durch sein taubes Gehirn strömen lassen.
Die immer bessere Durchführung komplexer Wettbewerbsmethoden, das immer offene Ohr eines Bürgermeisters, die immer neueren Neuerermethoden befreit er vom gröbsten grammatikalischen und syntaktischen Unsinn. Die verbleibenden sprachlichen Ungereimtheiten folgen den eigenen Gesetzen einer Formelsprache und lassen sich nicht redigieren.
So verbringt er seinen Arbeitstag bis 17 Uhr, unterbrochen von Sitzungen, Schnaps, Gesprächen. So oder so ähnlich.
Hans Schütz führt Fred Müller in ein Nebenzimmer. Günter Rassow sieht ihnen schuldbewußt nach. Schade um den schönen Abend, sagt er, es sei gerade so gemütlich gewesen.
»Ach du«, sage ich, schärfer als ich wollte, »als sähe es in dir anders aus. Ihr lebt doch alle schon nach dem Sündenfall. Aber ihr könnt es nicht lassen. Immer wieder wollt ihr euch ins Paradies der Unschuldigen schmuggeln. Dabei seid ihr längst auf der Höllenfahrt. Hörst du nicht, wie es heiß und kalt um deine Ohren pfeift?«
Günter lacht hysterisch auf. »Nur unser Engel Josefa sitzt auf einer schneeweißen Wolke hoch über unsern abgründigen Gedanken. Laß nur, Mädchen, noch zehn Jahre in dem Beruf, und du sparst dir deine klugen Reden. Nichts für ungut, Josefa, wir wissen ja, wie wir’s meinen. Stimmt doch, oder?«
Ich will nach Hause zu meinen dreckigen Gläsern. Bevor ich einschlafe, werde ich in roten und goldenen Farben meine Zukunft träumen. Die Augen schließen und warten, was sich zeigt. Die sonderbarsten Dinge erscheinen dabei. Die schwarzweiße Ziege, die immer auf dem Kopf steht. Sie läuft stumm durch den Wald auf in die Luft gestreckten Beinen. Manchmal kommt auch ein marmorner Schreibtischelefant mit einem weißen Häkeldeckchen auf dem Rücken, und darauf sitze ich in einem glitzernden Zirkuskostüm. Oder ich gehe wieder durch die sandfarbene Ruinenstadt. Sie muß weit im Süden liegen, in Spanien oder Italien, vielleicht sogar in Afrika, denn es ist irrsinnig heiß dort. Und der Himmel ist blau, so blau wie über dem Meer. Er scheint gleichmäßig durch die leeren Fensteröffnungen der Ruinen, als hätte man einen blauen Prospekt hinter die Wände gestellt. Die Straßen sind schmale steile Treppen aus gelbem Sandstein, denn die Stadt liegt an einem Hügel. Ich bin immer allein dort, aber es stört mich nicht. Ich steige langsam die Treppen zur höchsten Stelle des Hügels, weil ich von da auf die Stadt sehen will. Jedesmal. Aber jedesmal, wenn ich oben angelangt bin und mich umdrehe, zerspringt das Bild oder schrumpft zusammen, und ich finde mich wieder auf einer Treppe, die auf halber Höhe des Hügels liegt, und ich beginne meinen Aufstieg von neuem.
Der Taxifahrer rast durch die Schönhauser. Er fährt nur nachts, sagt er, wegen der Ruhe. Denn ein Mensch, der nachts arbeitet, braucht am Tag seine Ruhe. Das hätte er seiner Frau beigebracht. Und die Mäuse, sagt er, da sei nachts auch mehr drin. Vor einer Woche hätte er sich einen Papagei gekauft, für viertausend Mark.
Gibt es denn Papageien für viertausend Mark?
Klar, sagt der Taxifahrer.
Bestimmt schwindelt er. Warum sollte ein Mensch viertausend Mark für einen Papagei ausgeben?
»Fünf dreißig«, sagt der Taxifahrer.
Ich zähle genau ab, entschuldige mich, weil ich kein Trinkgeld gebe, aber das sei doch albern, fünfzig Pfennige und ein Papagei für viertausend.
»Lassen Sie mal, Fräulein, von Ihrem Fünfziger könnt ick den bestimmt nicht bezahlen«, sagt der Taxifahrer und lacht mitleidig.
Hinter den geschlossenen Lidern zucken Lichter wie Flammen, rot und blaßblau. Versuchen, nicht zu denken, dann läuft es ab wie ein Film.
Ich sehe eine breite graue Straße, die am anderen Ende durch eine orangefarbene Barriere begrenzt wird. Die Straße ist leer. Nur ich laufe in der Mitte der Straße auf die Barriere zu. In den Rinnsteinen zu beiden Seiten
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