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Flugasche

Flugasche

Titel: Flugasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
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Stimme: »O Schreck, welch ein Geräusch!« Dann schlich sie weiter.
    Günter Rassow klatschte sich auf die Schenkel und lachte quietschend. Luise spielte unbeirrt. Sie hob schützend den Arm vors Gesicht, als sei sie geblendet. »O Gott, mein Vater!« rief sie schrill, dann mit Blick gen Himmel: »Was soll ich tun?« Sie blickte noch einmal wild und ratlos um sich, warf sich vor einem imaginären Vater auf die Knie und schluchzte: »Vater, verzeih!«, setzte sich wieder an den Tisch und genoß den Erfolg ihrer Vorstellung.
    Die Jury, erzählte Luise, sei von ihrer Darbietung äußerst beeindruckt gewesen. Der freundliche Herr mit Schnurrbart erklärte ihr, sie sei ein komisches Talent, was Luise, die ihr Spiel durchaus ernst gemeint hatte, tief kränkte. Möglich, daß Luises Scheu, Gefühle anders als verhalten oder leicht ironisch zu äußern, mit dieser Erfahrung zu tun hat. Ihre Fähigkeit zur Komik hat sie seitdem gepflegt. Und wenn Luise Gespräche mit ihr unsympathischen Leuten wiedergibt, spielt sie sie meistens vor, wobei ihre Gesprächspartner immer zu komischen Figuren werden, die schon beim ersten Wortwechsel jede Chance verspielen. »Du weißt ja, wie der redet«, leitet Luise ein und weidet sich dann an jeder auffälligen Betonung, jedem Naserümpfen oder Lispeln des anderen, bis ihre Zuhörer kaum noch auf die Argumente des lächerlichen Gegners achten, nur noch Luises Fähigkeiten bewundern, in die Hände klatschen und rufen: »Ja, genau, so spricht der!«
    Wenn Luise beschlossen hat, die Märtyrerin Josefa vor der huldigenden Menge darzustellen, muß ich aufgeben. Dann ist sie für keinen Einwand mehr zugänglich. Meine Rolle ist festgelegt. Ich kann nur noch verhindern, zur komischen Figur zu werden, indem ich mich als Publikum verweigere. Luise entwirft gerade die Dankrede des Ersten Sekretärs an seine Kritikerin Josefa.
    »Ich muß mal«, sage ich und gehe.

V.
    Der Park ist nackt. Kein Blatt, kein Schnee, selbst das welke Laub liegt nur spärlich auf den bräunlichen Wiesen, krüpplige Äste ragen in die graue, feuchte Luft. Parks im Herbst wirken wie unbewohnte ungeheizte Zimmer, unnatürlich und kahl.
    Der Sohn rennt quer über die Wiese zur Böschung, an der die Enten regelmäßig ihre Besucher erwarten. Er öffnet den Plastikbeutel mit den Brotresten und versucht wie ein Marktschreier die Konkurrenten rundherum zu schlagen. Ich setze mich abseits auf einen Baumstumpf, die Bänke werden im Winter weggeräumt, und starre auf die weiße Mauer, durch die der Park vom Schloß getrennt wird, zu dem er einmal gehörte. Das Schloß hatte ein Kurfürst seiner Kurfürstin bauen lassen, weil er sie möglichst weit vom Hofe und vom Halse haben wollte.
    Hin und wieder soll er sie besucht haben. Auf dem kleinen Flüßchen, das graugrün und schlammig durch den Park und weiter durch den halben Stadtbezirk fließt, soll er auf einem Nachen angeschwommen sein, erzählte mir einmal eine uralte Frau, als ich noch ein Kind war. Ich hatte wohl einen ungläubigen Blick auf das kümmerliche Flüßchen geworfen. Das sei früher, in ihrer Jugend, sagte die alte Frau, ein wunderschöner, großer Fluß gewesen, den man von der Stadtmitte bis hierher hätte befahren können. Und darauf sei der König gekommen, erzählte sie, und ihre Augen waren feucht von Altersschwäche und vom Frühlingswind. Die Erzählung des Weibleins muß mich, obwohl ich ein bewußter und vorbildlicher Jungpionier war, tief beeindruckt haben, denn seitdem kann ich den mageren dreckigen Bach nicht sehen, ohne mir darauf einen Nachen mit rotem Baldachin vorzustellen, in dem der König steht in weißer Uniform und schwarzem Dreispitz. Er vollführt mit dem rechten Arm eine ausholende majestätische Geste und hat den linken Fuß in der Art der Herrscher graziös vorgestellt, die Fußspitze leicht nach außen gewinkelt. Der König ist fett und ähnelt Siegfried Strutzer.
    Das Schloß wurde von der Regierung übernommen, der Park darf von allen betreten werden, bei Glatteis auf eigene Gefahr. Ich will nicht an Siegfried Strutzer denken.
    Der Sohn wirbt um einen schönen grünhalsigen Erpel, der gierig um eine ältere Dame mit Schirmmütze herumwackelt, die offenbar Besseres zu vergeben hat als altes Brot – selbstgebackenen Kuchen wahrscheinlich.
    »Die will nicht zu mir«, sagt der Sohn.
    »Die ist ein der.«
    »Nein, die bunten sind die Mädchen.«
    »Die bunten sind die Jungs.«
    ›Politische Bösartigkeit oder politische Dummheit‹ hat

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