Flugasche
Strutzer gesagt.
»Die Mädchen, das weiß ich genau.«
Dazu das infame Lächeln auf dem kleinen Mund.
»Und woher?«
»Mädchen sehen auch hübscher aus als die Jungs.«
»Warum?« Ich hätte etwas sagen müssen.
»Weil sie so niedliche Zöpfe haben und bunte Röckchen.«
»Und wenn sie die Zöpfe abschneiden und die Röcke ausziehen?«
Er überlegt. »Dann nicht. – Und warum sind die Jungs bei den Enten hübscher?«
»Ich weiß nicht. Damit die Mutter geschützt ist und niemand sie beim Brüten stört.«
»Und wodurch bist du geschützt?«
»Dich will ja keiner fressen«, beruhige ich ihn.
Strutzer mit dem kleinlichen, infamen Lächeln, die Augen versteckt hinter Brillengläsern, die das künstliche Licht reflektieren und der oberen Gesichtshälfte eine undurchdringliche Starrheit verleihen. Dünne, dunkel getönte Gläser, vielleicht nur dazu bestimmt, Strutzers emotionale Regungen hinter zwei Bündeln reflektierten Lichts zu verbergen. Er klopfte mit dem Bleistift auf den Tisch, ließ zwischen den einzelnen Klopfzeichen regelmäßige lange Pausen, die mir eine schmerzhafte Spannung verursachten.
»Bitte, dann formuliere ich die Frage anders«, sagte er, nachdem ich ihn eine halbe Minute angestarrt hatte, ohne meine Sprache wiederzufinden. »Hast du beim Schreiben geglaubt, wir würden das da allen Ernstes drucken?«
Darauf hätte ich noch einfach mit Ja antworten können. Vorher hatte er gefragt, ob ich das da aus politischer Böswilligkeit oder lediglich aus politischer Dummheit geschrieben hätte. Bei den Worten »das da« hatte er lässig mit dem Bleistift auf mein Manuskript geschlagen. Ich wollte mir eine Zigarette anzünden, schon um Zeit zu gewinnen, in der mir eine passende Antwort hätte einfallen können. Meine Hände zitterten, ich legte die Schachtel wieder auf den Tisch. Mein Mund war trocken und brannte. Strutzers augenloses Gesicht starrte mich an, nur das infame Lächeln bewegte kaum sichtbar den kleinen Mund. Die weißen Wände blendeten mich. Ich sah auf den Boden. In den oberen Abschnitt meines Blickfeldes wippte der Fuß von Siegfried Strutzer im gleichen Rhythmus wie das Klopfen des Bleistifts. Mir wurde heiß, und in meinen Ohren begann es zu rauschen.
Strutzer lehnte sich zurück, legte beide Hände auf die Sessellehnen, das Klopfen hörte auf. »Deine Arroganz hilft uns gar nicht. Dir auch nicht. Wenn du mit mir nicht reden willst, auf Grund deiner privaten Aversionen, bitte, dann sprechen wir uns eben vor der Parteileitung.«
Mir fiel nichts ein, das ich ihm hätte antworten können, nichts, das die Situation entschärft hätte. Die weißen Wände verschwammen vor mir zu einer weichen Masse, die abwechselnd auf mich zufloß und sich wieder zurückzog. Das Rauschen in den Ohren wurde stärker.
Der Bleistift klopfte wieder, der Fuß, in dem grauen Wildlederschuh, schien mir bei jedem Wippen ein Stück näher zu kommen. Es war idiotisch zu schweigen. Aber es war zu spät, etwas Normales, Beiläufiges, vielleicht sogar Scherzhaftes zu sagen. Es mußte inzwischen eine grundsätzliche Äußerung sein, zitierbar vor der Parteileitung oder vor der Chefredaktion. Er hat gewußt, warum er das Gespräch mit einem Schuldspruch eröffnete. Er mußte mich in der Defensive haben, mich provozieren, bis ich endlich jene unkontrollierte Blödheit sagen würde, auf die er wartete. Wir haben zu oft über ihn gelacht, zu oft ist Luise ihm mit ihrer cleveren Intelligenz wie mit einem heißen Bügeleisen übers Maul gefahren. Luise wäre nie in meine vertrackte Lage gekommen. Sie hätte vermutlich nach Strutzers erster Frage den Raum verlassen, nicht ohne den Hinweis, der Genosse Strutzer müsse selbstverständlich ein Parteiverfahren gegen sie einleiten, wenn er so ungeheuerliche Beschuldigungen vorzubringen hätte, die nicht mehr Gegenstand privater Unterredungen sein könnten. Und Siegfried Strutzer hätte sich anstrengen müssen, um Luise wieder zu beruhigen.
Der Sohn hängt schreiend auf der obersten Stufe eines Klettergerüstes. »Halt dich fest, ich komme.«
Es war nichts zu retten, ich konnte nur noch den Fehler vermeiden, überhaupt etwas zu sagen.
»Ich sehe keinen anderen Weg, als der Parteileitung von deiner Haltung Mitteilung zu machen. Den Genossen wirst du hoffentlich etwas zu erklären haben.« Er wünschte mir ein schönes Wochenende; als ich ging, klopfte er einen Marschrhythmus.
Luise hatte Haushaltstag, ich rief in Rudis Sekretariat an, hörte, der Chef sei schon vor
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