Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flugasche

Flugasche

Titel: Flugasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Maron
Vom Netzwerk:
zwei geschrieben?«
    Josefa schwieg.
    »Erwartest du nun einen klugen Rat?«
    »Nein«, sagte Josefa.
    Was hätte er ihr auch raten können. Sprich mit Luise, fahre nach B., krakeel nicht rum. Das wußte sie selbst. Sie wärmte ihre Hände über der Heizplatte des Küchenherdes und beobachtete, wie Christian mit Hingabe Zwiebeln schnitt. Halbieren, längs einschneiden, sagte er, das hätte er bei seiner Großmutter gelernt, die Köchin gewesen wäre bei einem Bischof. Als könnten nur Großmütter Zwiebeln schneiden, die mal für einen Bischof gekocht haben.
    Sie hatte Christian Satz für Satz Strutzers Drohungen wiederholt und hatte dabei selbst empfunden, wie kindisch ihre Panik war. Strutzer war ein hinterlistiges Kriechtier, das wußten alle. Vielleicht konnte er erreichen, daß der Beitrag nicht gedruckt wurde. Aber mehr nicht. Weder Hans Schütz noch Günter Rassow, die beide in der Parteileitung waren, würden zulassen, daß Strutzer einen Fall Nadler konstruierte.
    »Und warum hast du geheult?«
    »Ich weiß nicht mehr«, sagte Josefa. Und plötzlich in die Stille:
    »Weil ich die dicken Weiber nicht mehr sehen kann und die hohlen Eierköpfe und die Fettärsche und die ganze biedere deutsche Gesellschaft.«
    Ihr fiel nicht auf, daß sie die gleichen Worte benutzte wie Fred Müller, als er bei Hans Schütz volltrunken sein Innerstes erbrach. Sie zerhackte den Speck, als hätte sie etwas oder jemanden unterm Messer, das oder der ihren Zorn verdiente.
    Christian hielt seine Freundin Josefa zuweilen für ein liebenswertes Monster, das im Bewältigen persönlicher Konflikte nur als bedingt lernfähig anzusehen war. Er hatte sie schon öfter in Zuständen tiefster Verzweiflung erlebt, aus denen sie immer wunderlich frisch, aber nie geläutert auftauchte. Seit fünfzehn Jahren rannte sie blindlings in Katastrophen, die, wenn sie auch äußerlich keinen Vergleich zuließen, in ihrer Struktur einander fatal ähnelten. Parteiaufnahme, Heirat, Scheidung, alles nach dem gleichen Schema.
    Während ihres letzten Studienjahres wurde Josefa wegen Sektierertum als FDJ-Sekretärin abgelöst. Anlaß war dieser Mohnkopf oder Mohnhaupt, einer von den zwei Genossen im Seminar, ein übler Intrigant und Josefas spezieller Feind. In regelmäßigen Abständen berichtete sie damals, wie sie das Großmaul zur Strecke gebracht hatte, durch Zwischenfragen oder indem sie ihm nachwies, daß er ein Fremdwort falsch benutzt hatte. Christian hatte für Josefas Kleinkrieg nie viel Verständnis aufgebracht, obwohl ihr kindlicher Eifer, den sie für eine Art Klassenkampf hielt, ihn rührte. Aber Mohnkopf oder Mohnhaupt hatte eines Tages die Nase voll, behauptete, Josefas spitzfindige Attacken würden nicht ihm gelten, sondern der Partei, die Josefa schädigen wolle unter dem Deckmantel persönlicher Antipathien. Auf weiß der Himmel wie vielen Versammlungen hat Josefa beteuert, Mohnkopf einfach nur nicht leiden zu können. Es half ihr nichts, sie wurde abgesetzt. Einige Tage später stellte sie den Antrag, in die Partei aufgenommen zu werden. Das, glaubte sie, müsse die andern beschämen und sie von ihrem Unrecht überzeugen. Statt dessen passierte, was jeder voraussah, nur Josefa nicht. Sie glaubte mit naiver Verbissenheit, die Genossen müßten sich von Mohnhaupts durchtriebener Farce distanzieren, wenn sie ihnen auf diese Weise das Gegenteil seiner Behauptung bewies. In einem Aufnahmegespräch, das nach Josefas Schilderung eher einem Parteiverfahren glich, beschlossen die Genossen, die Jugendfreundin Josefa Nadler in ihren Reihen nicht dulden zu wollen. Er wolle sicher sein, hatte Mohnhaupt erklärt, daß ihm sein Hintermann nicht in den Rücken schießt, wenn er einmal an der Mauer Wache stehen muß.
    Tagelang war Josefa vor Wut und Ohnmacht irrsinnig. Christian hatte versucht, sie zu beruhigen, aber sie zitterte, sobald sie an die Affäre dachte, und sie dachte ständig daran. Sie saß in ihrem Sessel wie in einer Festung, hatte dicke Augen vom Heulen, schmiß mit unflätigen Schimpfworten um sich, sprach davon, Mohnkopf oder Mohnhaupt umzubringen, und fuhr jedem übers Maul, der sie trösten wollte. Dann war sie verschwunden. Zwei Tage später war sie wieder da. »Ich war bei deinem Vater in Halle«, erklärte sie ihm. Sie wirkte ruhig, fast zufrieden. Am nächsten Tag ging sie in die Universitätsparteileitung, wies dort einen von Werner Grellmann rot angestrichenen Absatz im Parteistatut vor, der bewies, daß ihr Antrag statutenwidrig

Weitere Kostenlose Bücher