Flugrausch
Landrover und den Fahrer zu finden, und mit ein wenig Glück hast du Recht, und er war betrunken oder high.«
Kitty hielt den Kopf gesenkt. Sie murmelte etwas und fing an zu zittern. Challis stand auf, ging über das verschmierte Stück Beton, stellte sich neben sie. Sie lehnte sich mit der Schulter an seine Hüfte, und er legte ihr eine Hand besänftigend auf den Kopf.
Sie befanden sich noch immer in dieser Position, als ihr Ehemann voller Sorge hereingestürmt kam. Challis war es peinlich, und er erstarrte, doch Rex Casement warf ihm ein kurzes, schüchternes Lächeln voller Dankbarkeit zu und murmelte: »Es ist alles in Ordnung, ich bin ja da, es ist alles in Ordnung.« Kitty stand auf und warf sich in seine Arme. Casement trug eine alte Kordhose mit Gürtel, ein blaues Polohemd, die Sonnenbrille steckte in den schütteren roten, langsam grau werdenden Haaren auf seinem Kopf. Challis nickte kurz und zog sich zurück, und Casement bedankte sich bei ihm mit einem erleichterten Lächeln über die Schultern seiner Frau hinweg.
9
Ostermontag. Zwei Tage waren seit der Verhaftung am Knutschplatz und der Party ihrer Tochter vergangen, doch Ellen Destry war immer noch steinmüde. Eigentlich musste sie heute nicht arbeiten, aber sie hatte Papierkram zu erledigen, also war sie nach dem Frühstück nach Waterloo gefahren, was sie nun bedauerte. Über Carl Lister fand sie nichts, nur dass er neu auf der Halbinsel war. Ellen drehte sich auf ihrem ergonomischen Stuhl und blätterte lustlos durch ein paar neue Fälle. Ein gefährlicher Zwischenfall mit einem Fahrzeug auf dem Flugplatz von Waterloo, in den eine Freundin von Hal Challis verwickelt war. Ein Einbruch in einem Laden für Kettensägen und Rasentraktoren draußen im Industriegebiet. Und eine Flut von Zwischenfällen im Zusammenhang mit dem neuen Internierungslager: zwei Entflohene auf der Flucht, ein Angriff auf zwei malaysische Studenten am helllichten Tag, die aufgesprühten Worte »Bombt die Moslems in die Steinzeit« quer über das »Betreten verboten« -Schild am Stacheldrahtzaun rings um das Lager.
Ellen seufzte und schob die Akten auf die andere Seite des Schreibtischs. Flüchtlinge, Asylbewerber, Schmarotzer, Fanatiker, Terroristen: Die Insassen des Internierungslagers wurden mit allen möglichen Namen belegt, und sie waren gehasst und gefürchtet, doch auf Ellen wirkten sie wie ausgehungerte, seelisch gebrechliche arme Teufel. Die braven Bürger waren zornentbrannt, als die alten Navykasernen umgewandelt wurden; nur die Handelskammer begrüßte das Geld aus der Staatskasse und die neue Bestimmung der wertlosen alten Gebäude auf dem Marschland neben dem Mangrovensumpf an der Westernport Bay. Soweit Ellen das feststellen konnte, hatte das Lager den Ansässigen nur ein halbes Dutzend Arbeitsplätze gebracht, die Taschen der amerikanischen Firma gefüllt, die das Lager führte, und die ortsansässigen Eiferer auf die Palme gebracht. Freude hatte mit dem Lager niemand.
Den Vormittag über arbeitete sie halbherzig vor sich hin und machte dann eine Kaffeepause; dazu nahm sie Challis’ Espressokanne und ging an seinen Lavazza-Vorrat. Jede Menge Einbrüche, ein paar Überfälle an Geldautomaten; all das ließ sich auf Drogen zurück führen, auf das Geld, das man als Junkie brauchte, und die Zahl der Verbrechen stieg an. Für Ellen ein weiteres Indiz dafür, dass der Drogenkonsum auf der Halbinsel zunahm. Sie machte sich Notizen, auch wenn sie sich fragte, ob sie die wohl jemals brauchen konnte. So hatten Ecstasy-Tabletten zum Beispiel Markennamen, bevorzugte Sorte war der Euro-Dollar, und alle sagten, der Snoopy tauge nichts.
Gegen Mittag ging sie entmutigt hinunter über die Eisenbahnschienen zu den Läden auf der High Street und suchte nach etwas Essbarem. Die meisten Geschäfte waren über die Osterfeiertage geschlossen. Wieder gab es ein, zwei leere Schaufenster mehr, auf deren Scheiben der Aufkleber zu lesen war: »Kaufen Sie bei Ihrem örtlichen Händler.« Ein neuer Ramschladen hatte aufgemacht, der dritte auf einer Länge von zwei Straßenblocks.
Das Café Laconic war geöffnet, drei Frauen, die an einem der Tische draußen saßen, unterhielten sich lautstark über das Geschrei und das Genörgele von einem halben Dutzend Kleinkinder und Babys hinweg. Als Ellen an ihnen vorbeikam, kletterte ein Zweijähriger seiner Mutter auf den Schoß, knöpfte ihr die Bluse auf und hängte sich an eine ihrer Brüste. Die Mutter rutschte ganz automatisch herum, um
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