Flurfunk (German Edition)
Küchentisch super geeignet sei, um mich zu verführen. Und ich war ihm wieder ein Stückchen mehr verfallen. Man kam in seiner Gegenwart kaum zum Atmen, bei dem Tempo, das er vorlegte.
Wir machten die Nacht kein Auge zu, was sich am nächsten Morgen bitter rächte. Nicht nur, dass man mich bei einer Polizeikontrolle wahrscheinlich sofort in Arrest genommen hätte wegen überdimensionaler Augenringe, nein, wir hatten zu allem Übel auch noch verschlafen.
»Wann bist du denn wieder mal richtig da?«, fragte ich Justus, der sich eilig ein T-Shirt über den Kopf zog.
»In einer Woche ist das Schlimmste vorbei. Wir drehen morgen noch eine Szene nach, aber das Filmmaterial liegt schon beim Abtasten und Sichten, und Uli hat bereits mit dem Schnitt angefangen.«
Flüchtiger Kuss, und schon rannten wir beide die Treppen hinunter.
»Übrigens, ich bin Freitag bei Drechsler !«, rief Justus mir zu, während er ins Taxi stieg.
»Na dann viel Glück! Wir telefonieren! Danke noch mal für die Überraschung!«, rief ich hinterher.
vierundzwanzig So chaotisch, wie der Tag begonnen hatte, ging er im Sender weiter.
Kaum war ich im Büro, sah ich schon Mimi und Tim zusammen tuscheln. Es ging bestimmt um Will Taite.
»Was Neues vom Popstar?«
Mimi und Tim sahen mich erschrocken an, legten gleichzeitig den Finger auf den Mund und machten: »Pssst!«
»Werden wir neuerdings abgehört?« Man wusste ja nie. Ein Sender hatte in den 90ern die Telefonate seiner Mitarbeiter mitgeschnitten – ich hielt alles für möglich.
»Quatsch! Aber muss ja nicht jeder mitbekommen. Wenn das über den Flurfunk geht, kannst du dir ja vorstellen, was los ist! Im besten Fall wird Mimi die ganze Zeit aufgezogen, im schlimmsten Fall melden sie es in den News!«, belehrte mich Tim.
»Aber was ist denn jetzt mit dem Popstar? Habt ihr eigentlich keinen Decknamen für ihn?« Decknamen waren doch der halbe Spaß, wenn man heimlich verliebt war und niemand etwas wissen durfte … Am besten gab man einem Typen immer einen Mädchennamen und sprach von »ihr«. Wie oft hatten wir zu Uni-Zeiten gekonnt mit diesen Tarnnamen hantiert!
»Pussy fände ich passend«, schlug Tim vor.
»Na, wir wollen doch nicht gleich obszön werden. Was hat er denn heute verbockt?«
Mimi flüsterte: »Gar nichts! Das ist ja das Komische! Er ist aufmerksamer denn je, will mich dauernd treffen und versichert mir, wie wichtig ich für sein Leben bin und dass ich ihn so inspiriere. Er sprach sogar davon, sich von seiner Frau zu trennen, da er glaubt, sie wäre vielleicht ohne das anstrengende Leben an seiner Seite besser dran. Und dass die Ehe sowieso ein Desaster sei, was ihn in seiner künstlerischen Schaffensphase total beeinträchtige. Er fragte mich sogar, ob ich mir vorstellen könnte, mit ihm in London zu leben. Es hörte sich sehr ernst an. Und jetzt bin ich total verwirrt und weiß gar nichts mehr!«
Aber ich wusste eines sicher: Letztlich war Will Taite auch nur ein Mann, der einfach seine langjährige Ehefrau betrog und seiner jungen Geliebten wenigstens eine Perspektive vorgaukeln musste, um sie zu halten. Und mit Künstlerseele hatte das wenig zu tun. Immerhin hatte er eine der schönsten Liebeserklärungen vor nicht allzu langer Zeit in Liedform seiner Frau gewidmet. So schlecht konnte es um die angeblich tote, einengende Ehe nicht stehen!
»Mimi. Ich trau ihm nur, so weit ich sehen kann. So wie du das alles geschildert hast, geht es bei ihm vor allem um eines – sein Wohlbefinden! Und das versteckt er dann gerne mal hinter dem »Ich-bin-anders-ich-bin-Künstler«-Gesülze und holt sich damit ’nen Freischein, um alles ausleben zu können, wonach ihm gerade ist.«
Meine offene Meinung war nicht gefragt. Mimi schien das nicht hören zu wollen, was ich nur zu gut verstehen konnte.
Tim, immer noch hin und weg von Will Taites Konzert, war zu keiner objektiven Einschätzung in der Lage. Er meinte bloß: »Lasst mich da raus, Mädels. Mir ist es ganz egal, und wenn er kleine Kinder fressen sollte, dieser Mann ist ein Genie, ein Gott. Da darf man nicht so kleinlich sein. Picasso war man ja auch nicht böse, wenn seine Exfrau ihm immer noch die Nägel schneiden durfte, während er schon zig andere Frauen in den Wahnsinn getrieben hatte. Mimi, du bist privilegiert, ihn überhaupt lieben zu dürfen und ihn sogar inspiriert zu haben. Mit dem Song, den er für dich geschrieben hat, wirst du unsterblich durch ihn sein!«
»Ja, wenn es denn jemand wüsste!«, wagte ich
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