Flurfunk (German Edition)
wenn mich nicht alles täuscht, hat er schon, als wir gingen, an Blähungen gelitten.«
»Lena, das ist widerlich! Ich schlafe auf dem Gang!«
Wieso hatte ich mir eine Flucht immer viel glamouröser vorgestellt? In Gedanken sah ich mich mit riesiger Sonnenbrille im Taxi, leichtem Reisegepäck, First-Class-Ticket und einem Steward, der beim Tränenvergießen handbestickte Servietten reichte, einem ermutigend die Hand tätschelte oder, besser noch, mich mit dem unglaublich souveränen unverheirateten Piloten bekannt machte.
Wo genau war dieser Plan aus der Bahn gelaufen?
Und wieso hatte ich kein Sagrotan dabei!
Widerwillig legten wir uns wieder auf unsere Pritschen, sprechen durften wir ja nicht, und so überlegte ich krampfhaft, woher nur die Sage vom romantischen Schlafwagen herrührte, bis mir einfiel, dass Josephine Baker es angeblich in einem getan hatte … Na, so beweglich, wie die war, hätte sie auch einem Tête-à-Tête im Kampfjet was abgewinnen können. Und wieder eine urbane Legende entmystifiziert. Ich wartete, bis Lena eingeschlafen war – ja, Lena gehörte zur beneidenswerten Gattung Mensch, die selbst beim Schlangestehen im Schlussverkauf ein kurzes Nickerchen einschieben konnte –,
um endlich mein Handy anzumachen.
Nur so, vielleicht war ja etwas Wichtiges, log ich mir selbst vor.
Caroline hatte eine sms geschickt. »Wie geht’s dir? Freue mich auf euch! Wie ist es im Schlafwagen?«
Ich antwortete ausführlich. »Es ist genauso lustig, wie ich es mir vorgestellt habe – nur wärmer! Und ein besoffener Triebtäter will dauernd in unser Abteil. Fahre ab jetzt nur noch Nachtzug. Mir geht’s bescheiden, kann den Abstand gebrauchen. Freue mich auch auf dich!«
Meine Mailbox konnte ich nicht abhören, weil ich mich natürlich nie um die pin fürs Ausland gekümmert hatte.
Also schaltete ich das Handy wieder aus und verbrachte die restlichen Stunden damit, nachzudenken, zu verzweifeln, mir furchtbar Leid zu tun, Justus zu vermissen, ihn zu hassen, ihn dann wieder zu vermissen, Annabelle unentwegt zu hassen, etwas zu weinen, danach wütend zu werden und ewige Rache zu schwören und dann einfach nur noch dem Rattern zuzuhören und schließlich in einen halbwachen Dämmerzustand zu fallen.
So zeitig Hansemanns Familie in den Federn gewesen war, so zeitig ließen sie die nackten, mit Hornhaut übersäten Füße und zu langen gelben Zehennägel von oben herunterbaumeln und tauschten sich aus, wer zuerst den Darm entleeren würde.
Ein würdiger Abschluss unserer kleinen Gruppenreise!
Als der Schaffner endlich durchsagte, dass wir Paris erreicht hatten, war ich sicher, »Paradies« verstanden zu haben. Der Zug hielt, wir konnten aussteigen, und die Zivilisation hatte mich wieder.
»Lotte, Lena, hier bin ich!«
Caroline stand strahlend am Bahnsteig, ihre blonden Locken stachen wie üblich aus der Menge heraus, ihre ansteckende fröhliche Art auch. Es tat so gut, sie zu sehen!
»Wie schaut ihr denn aus? War wohl nicht so der burner , eure Fahrt?«
»Sag bloß nichts, und bring uns hier weg. Ich möchte in ein frisch bezogenes Bett sinken und endlich ein paar Stunden schlafen.«
Lena sagte nichts, aber man sah ihr deutlich an, dass das Wort Schlafwagen auch für sie jede Assoziation mit romantisch verloren hatte.
»Wie wollt ihr das denn mit der Rückfahrt machen?«
Ich sah Caroline entgeistert an. »Welche Rückfahrt? Es gibt keine Rückfahrt! Ich habe heute Morgen per Handy unseren Rückflug gebucht.«
»Was hast du?« Lena war sofort wieder wach.
»Jetzt reg dich nicht auf. Wir fliegen zurück. Du nimmst diese Baldriantabletten und betrinkst dich, dann klappt das schon. Auf alle Fälle dauert das Martyrium deutlich kürzer, oder willst du dir noch mal mit Hansemann und seinen Eltern ein Abteil teilen?«
Das saß. Lena verneinte. Caroline schaute interessiert.
»Und wer ist Hansemann?«
»Erzähl ich dir später.«
achtundzwanzig Carolines Wohnung war ein Traum. Super Lage, sanierter Altbau, viele Zimmer und vor allem ein großes Bett im Gästezimmer.
Lena und ich fielen sofort in die Decken und schliefen bis zum frühen Nachmittag durch.
Wir wurden geweckt, als es Sturm klingelte. Der Sturmklingler stellte sich als Carolines neueste Errungenschaft heraus, Lasse, ein schwedischer Erasmusstudent, der es gar nicht abwarten konnte, Caroline – umschreiben wir es mal höflich – wiederzusehen.
Die beiden kicherten verliebt.
»Genau das Richtige bei Liebeskummer!«
Lena sah mich
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