Flurfunk (German Edition)
angesprungen! Natürlich hatte ich nicht draufgesprochen. So weit kam es noch!
Völlig verunsichert, stand ich nun vor dem Spiegel, fand mich hässlich und nicht besonders liebenswert, aber vor allem hatte ich nichts anzuziehen!
»Jetzt krieg dich mal wieder ein, Lotte. Du hast ihm am Sonntag doch die Adresse und Uhrzeit gegeben. Und wenn er zugesagt hat, wird er auch kommen. Jetzt reiß dich zusammen und zieh dich endlich an!«
Gerade als ich mich ein wenig beruhigt hatte, dachte ich an Katharina. Juhu, ich konnte meine Horrorvisionen noch etwas ausweiten! Katharina, die Vorzeigetochter der Busenfreundin meiner Mutter! Ihr selbstgefälliges Grinsen, wenn Justus nicht auftauchte, das geheuchelte Bedauern, wenn sie Marlene mitteilen musste, dass ich jetzt endgültig durchgedreht sei, oder weshalb kam man auf die Idee, eine Geschichte zu erfinden, man hätte mit Justus Staufen angebändelt?
Ich hörte bereits das Gejammer meiner Mutter, die sich nicht entscheiden konnte, was schlimmer war: die erhoffte Traumhochzeit mit Justus Staufen ins Wasser fallen zu sehen oder den eigenen spät gehegten Karrieretraum, Schauspielerin zu werden, aufgeben zu müssen! Dass Justus ein bekannter Schauspieler war, hatte in mehrerlei Hinsicht Eindruck auf sie gemacht.
»Lena, ich dreh durch! Meine Nerven halten das nicht aus!«
»Meine auch nicht. Ich hol dir gleich ’ne Plastiktüte, wenn du noch länger hyperventilierst! Er wird schon kommen, Lotte! Und jetzt beruhige dich endlich. Schließlich sind auch andere Menschen außer dir aufgeregt, okay?«
Ich Trampel! Die ganze Zeit dachte ich an Justus und vergaß dabei, dass Lena nicht weniger Grund zur Panik hatte als ich. Casper und sie trafen sich zum dritten Mal. Lena hatte es nämlich ebenfalls total erwischt, und sie zappelte genauso hektisch vor dem Spiegel herum wie ich und hatte sich vor Aufregung mit einem ihrer natürlichen Aromadüfte beinahe narkotisiert. Sie roch wie nach einem Räucherstäbchenbad. Wahrscheinlich war es ihre Duftspur, die mich derart durchdrehen ließ!
Nur allmählich wurde ich ruhiger. Schließlich zog ich ein schwarzes Kleid im 40er-Jahre-Stil von Paul Smith hervor. »Geht das, oder ist das zu aufgetakelt?«
Zum Glück hatte Lena trotz der Hysterie, die im Raum schwelte, nicht ihr Urteilsvermögen verloren.
»Das ist genau richtig, sexy und schräg, aber gleichzeitig elegant. Wenn er dir das nicht vom Leib reißen will!«
»Falls er kommt«, wagte ich einzuwerfen. Doch Lenas Blick ließ mich sofort verstummen.
»Und was hältst du hiervon?«
Lena hatte in ihre Ethnokiste gegriffen und einen roten Sari gefunden, der zu ihrem schwarzen glatten Kleopatraschnitt passte. Eine ungewöhnliche Erscheinung, aber genau das war sie ja auch. Seltsam kam mir allerdings vor, dass sie mich nach meiner Meinung fragte, normalerweise war sie stolz darauf, sich in Kleiderfragen von nichts und niemandem beeinflussen zu lassen. Übersteigert auf Individualität zu pochen war ein Überbleibsel aus Lenas Waldorfschulzeiten.
Nur zu gern zog ich sie damit auf, vor allem, nachdem sie mir in der achten Klasse ihre Eurhythmiefotos gezeigt hatte.
Lena war damals auf das Gymnasium gewechselt, das ich besuchte. Ihre Eltern, beide Lehrer, fürchteten um die Akademikertradition der Familie, weil der Umgang mit dem Druck einer Leistungsgesellschaft auf der Waldorfschule so überhaupt nicht geübt wurde. Trotz allen Idealismus und aller Gesellschaftskritik wollten Lenas Eltern dann doch nicht riskieren, dass die einzige Tochter durchs Abitur rasselte.
»Tanz mir die Blume!«, war ein geflügelter Satz geworden.
Irgendwo im Kleiderwust klingelte plötzlich das Handy. Mein Herz pochte!
»Charlotte, ich bin es. Ich kann heute Abend leider nicht kommen!« Mimi hörte sich geknickt an.
»Warum denn nicht? Ist alles in Ordnung? Sollen wir bei dir vorbeikommen?«
»Nee, ich warte nur auf einen wichtigen Anruf, das ist alles. Sei bitte nicht böse, okay?«
Meine Versuche, sie zu überreden, doch noch mitzukommen, schlugen fehl.
»Na gut, aber du versprichst anzurufen, falls du es dir anders überlegst. Ich hole dich auch ab!«
Aufgeregt wie vor der ersten Engtanzparty, machten Lena und ich uns nach mehreren Spiegelchecks auf den Weg.
Im Auto legten wir eine unserer Mitsing- CD s ein. Was immer gegen Nervosität half: Placebos Every you , voll aufgedreht und auf Dauerrepeat eingestellt. Wir sangen lauthals mit.
Als wir vor Katharinas Wohnung parkten, hielt ich zuerst nach
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