Flußfahrt
freimachte und noch einen raschen Blick nach oben durch das Eulenloch warf. Ich zog meine Tennisschuhe an und horchte auf das leise Rauschen des Flusses, bevor ich aufstand. Es war merkwürdig warm, ruhig und dumpf, und der Fluß zog unter dichten Nebelfahnen dahin, die nur wenig langsamer vorankamen als der Strom und in riesigen, formlosen Schwaden heranwogten. Sie hingen am Ufer und krochen auf mich zu, während ich sie beobachtete. Und in ihrem Schweigen wurde mir plötzlich klar, daß ich auf ein Geräusch von ihnen gewartet hatte. Ich blickte auf meine Beine, und sie waren verschwunden, und meine Hände auch. Ich stand da, und der Nebel fraß mich bei lebendigem Leib. Ich hatte eine Idee.
Ich ging zurück zu meinem Segeltuchsack, holte eine lange Unterhose und ein Unterhemd mit Ärmeln heraus und zog beides an. Das Unterzeug hatte fast die gleiche Farbe wie der Nebel. Mein Bogen war mit weißer Glasfiber verkleidet – in grünen und braunen Wäldern meist ein Nachteil, aber jetzt war das sehr günstig. Ich bespannte ihn mit der Kraft meines ganzen Körpers, nahm dann einen Pfeil aus dem Köcher und ließ die Zelte hinter mir. Der Nebel floß über sie hinweg und wirbelte leicht, mit der Bewegung strömenden Wassers, um sie herum. Er stieg hinauf in die Wälder, eine lange, schmale, tief eingeschnittene Schneise hinauf, ein Hohlweg vielleicht, und ich folgte ihm und dachte jetzt nicht mehr daran, Lewis zu wecken. Ich konzentrierte mich darauf, möglichst geräuschlos zu gehen. Ich konnte nicht weit sehen, aber wenn ich immer in der Schneise blieb, würde ich das Lager jederzeit wiederfinden können, auch wenn der Nebel noch dichter wurde. Ich brauchte mich nur umzudrehen und so lange zu gehen, bis ich fast – oder tatsächlich – über die Zelte stolperte. Ich bemühte mich, unter diesen Bedingungen ein persönliches Verhältnis zum Wald zu gewinnen, und dann war ich kaum noch von einem Baum zu unterscheiden. Zunächst hatte ich gar nicht richtig ans Jagen gedacht. Ich wußte nicht genau, was ich tat, ich wußte nur, daß ich vorsichtig weiterging, weg vom Fluß, hinein in eine immer größere Stummheit und Blindheit, denn jetzt überholte mich der Nebel und schlug mir schwer und feucht ins Gesicht. Ich trug den Bogen mit dem eingelegten Pfeil und drei weiteren Pfeilen in der einen Hand und strich mit der anderen leicht über die straffe Sehne. In den Fingern meiner rechten Hand vibrierte sie wie ein Draht, dessen Elektrizität aus dem Wald und dem Nebel zu kommen schien und von der Tatsache, daß ich jetzt nicht mehr so tat, als wollte ich jagen, sondern wirklich jagte.
Bevor ich in den Wald ging, hinter den Zelten, hatte ich, da ich über die Jagdwerkzeuge verfügte und sie zu gebrauchen wußte, nur daran gedacht, so zu tun, als ob ich gejagt hätte. Ich hatte lediglich die Absicht, so lange fortzubleiben, bis die anderen aufwachten und feststellten, daß ich weg war – ich hatte mir ausgemalt, wie ich in der Schneise saß, auf meine Uhr schaute und eine halbe Stunde abwartete. Dann hatte ich mit dem Bogen über der Schulter zurückgehen und den anderen erzählen wollen, ich sei nur fort gewesen, um mich ein wenig umzuschauen. Das hätte meinen Stolz befriedigt. Aber jetzt nicht mehr, nicht mehr ganz. Ich suchte jetzt wirklich und horchte, und meine Beine und Arme und Hände nahmen ein eigenes Leben an.
Ich war, zumindest auf eine Entfernung bis zu gut dreißig Metern, ein sicherer Bogenschütze, und weiter würde ich in der nächsten halben Stunde bestimmt nicht sehen können. Wenn ich auf Wild stieß, würde ich es schon erlegen; ich wußte, daß ich es tun konnte, und ich wollte es auch. Der Nebel war noch immer ziemlich dicht, aber der Hohlweg stieg an, und als ich höherkam, wurde er dünner, und es gab etwas Licht, zuerst Licht, und dann drangen Dinge durch den Nebel, Blätter und Zweige. Die Wände des Grabens – jetzt konnte ich erkennen, daß es ein Graben war, wo ich mich befand – waren nicht sehr hoch. Sie reichten mir kaum bis an die Schulter, und ich hatte den Waldboden auf beiden Seiten ganz gut im Blick. Nichts regte sich, und es herrschte die Stille der Leblosigkeit; trotzdem bemühte ich mich, so leise wie nur irgend möglich zu sein, für den Fall, daß doch etwas dort war. Der nasse Boden half mir dabei. Soweit ich beurteilen konnte, hatte ich auf meinem Gang hierher kaum ein Geräusch gemacht, und ich dachte daher, vielleicht sei ich theoretisch kein schlechter Jäger – zumindest
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