Flusskrebse: Roman (German Edition)
brachte den Wein,und zeigte Mautner die Flasche, bevor sie ihm einen Schluck zum Kosten einschenkte. Mautner gab das Glas an Vera weiter, die mehr von Wein verstand. Vera kostete und nickte zustimmend, und das junge Mädchen schenkte, die linke Hand auf dem Rücken, jedem ein Glas ein.
„Auf die Flusskrebse!“ sagte Hugo und hob sein Glas.
„Und auf die Evolution!“ schloss sich Magda an.
„Da stoss ich gern drauf an“, sagte Mautner erfreut.
„Prost!“ sagte Vera. Dann tranken sie. Der Wein war kühl, grasig und erfrischend.
„Ausgezeichnet!“ sagte Hugo.
„Ich hoffe, ich hab euch mit den Flusskrebsen nicht zu sehr gelangweilt“, entschuldigte Mautner sich. „Ich hab schon ein schlechtes Gewissen!“
„Also ich find’s spannend“, sagte Magda. „Du solltest ein Buch drüber schreiben!“
Vera grinste: „Das tut er ja. Seit wie vielen Jahren, Schatz?“
„Es sind einige“, gab Mautner zu. „Neben der Arbeit ein Buch zu schreiben, das ist... nicht so einfach, jedenfalls.“
„Warum schreibst du’s nicht während der Arbeit?“ fragte Hugo ganz ohne Spott. „Machen das nicht die meisten so? Die Akademiker meine ich.“
„Ich bin ja kein Prof. an der Uni. Wir sind total unterbesetzt. Ich nehm eher noch Arbeit mit nach Hause.“
„Jedenfalls haben wir einmal einen ganzen Tag kein Wort über afrikanische Kunst geredet“, sagte Magda zufrieden.
Vera, die bisher nicht viel gesagt hatte und mit nachsichtigem Lächeln Mautners Lieblingstheorien über sich ergehen hatte lassen, beugte sich interessiert vor: „Ist das euer Schwerpunkt?“
Hugo nickte bedächtig.
„Also keine Masken und geschnitzten Hocker?“
„Na ja, sowas müssen wir auch führen“, sagte Hugo entschuldigend. „Man muss einen Mix haben. Also ehrlich gesagt ist das unser Hauptgeschäft, Kunsthandwerk. Qualität, nicht Massenware. Wirklich schöne, ausgesuchte Sachen. Aber wo es geht, versuchen wir hier
African Modern A
rt durchzusetzen. Und wir sammeln natürlich auch selber. In Afrika, da geht es noch um was in der Kunst, da haben die Leute noch ein Anliegen. Das pulsiert, das lebt! Nicht so wie im Westen. Bei uns wissen die Künstler schon gar nicht mehr, was sie einem übersättigten Markt noch für Sensationen bieten können. Oder mit welchem noch nie dagewesenen Spektakel sie den Konzernen Sponsorgelder abschwatzen können. Was ist das für eine Kunst, eine halbierte Kuh in Formalin oder ein diamantenbesetzter Schädel!“
„Aber ist da nicht auch viel Sozialkitsch dabei?“ fragte Vera.
„Natürlich gibt’s Sozialkitsch, Politkitsch, Propaganda. Aber das ist eben nicht alles.“
„Gerade bei den Unpolitischen spürt man oft ein tiefes soziales Gefühl“, sagte Magda. Sie klickte auf ihrem Smartphone herum. „Schau, das haben wir kürzlich gekauft:
Farmers Tragedy
, von Cartoon Joseph, einem Kenianer.“
Das Gemälde auf dem kleinen Bildschirm zeigte eine Bauersfrau mit Hacke, in der typisch afrikanischen Stellung mit durchgestreckten Beinen, den Rücken im rechten Winkel dazu gebeugt. Auf ihrem Rücken saß ein Chamäleon. Das Bild war mit breitem Pinsel gemalt und der Kopf der Frauengestalt war übergroß, wie auf einer Kinderzeichnung.
„Hier ist nichts plakativ. Hier ist alles in der Farbgebung, in diesen kräftigen gedämpften Erdfarben, in der Geste der Frau, in dem groben Strich. Hier ist nichts ertüftelt, auf Wirkung berechnet. Dieser Mensch überlegt nicht, wie kann ich die Aufmerksamkeit von einem Sammler erregen, der Kunst als Wertanlage kauft. Und er überlegt auch nicht, wie kann ich die Menschheit überzeugen, dass die afrikanische Frau Unrecht erleidet. Er malt, was in ihm ist, was er malen muss. Wo gibt’s bei uns noch einen Künstler, von dem man das sagen kann? Oder welcher Künstler würde von seiner Arbeit sagen: ‚Meine Bilder sind am besten in einer Galerie aufgehoben, wo man auch weggehen kann. Ich würde sie nicht gern in meinem Haus hängen haben.’ Das sagtJes’seng’ang’a, der mit Straßenkindern und Geisteskranken arbeitet.“
„Afrika?“ sagte Mautner. „Da muss ich euch was erzählen.“
*
Als Mautner Montag abend nach dem Flüchtling sah, um ihn zu fragen, ob er in Reiters Galerie neue Lichtschienen montieren und sich so ein paar Euro verdienen wolle, traf er einen zweiten jungen Mann bei ihm an.
„Oh Monsieur, guten Abend. Ich möchte Ihnen gerne Patrice vorstellen. Er kommt aus Ruanda und ist momentan ebenfalls ohne Wohnmöglichkeit. Ich hoffe,
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