Flusskrebse: Roman (German Edition)
auf dem Fußboden waren zwei Decken ausgebreitet. Auf einer Kochplatte, die auf dem Boden stand, sprudelte ein Topf mit Wasser. Frau Professor Saberi saß mit gekreuzten Beinen auf dem Boden, vor sich auf einem Zeitungspapier ein kleines Holzbrett, auf dem sie mit einem Messer sorgfältig kleine Scheibchen von einer Karotte abschnitt. Frau Zhao hockte sich zu ihr, nahm ein zweitesBrettchen und hackte mit schnellen Schnitten eine Karotte klein. Die ältere Frau versuchte lächelnd, es ihr nachzutun und schneller zu hacken. „Aufpassen auf Finga!“ warnte Frau Zhao.
Die Frau Professor schüttelte den Kopf. „Ich habe für das kein Training“, sagte sie langsam auf Deutsch. „Immer keine Zeit zu essen kochen.“
„Flau muss kochen!“ sagte Frau Zhao.
„Ja, meine Mama auch gesagt hat. Frau muss kochen! Aber das ich wollte nie. Meine Mama gesagt, wenn nicht kochst, du findest nicht Mann. Ich gesagt habe: Ich will kein Mann. Aber dann ich habe gefindet ein Mann, der kann kochen. Sage ich richtig?“ wandte sie sich an Mautner.
Mautner, der an der gegenüberliegenden Wand auf dem Boden saß und nicht wusste, wo er mit seinen Beinen hin sollte, empfand Scheu sie zu korrigieren: „Sie sprechen schon sehr gut Deutsch.“
„Sie sind höflich, aber nicht hilfreich. Wenn Sie nicht mich korrigieren, ich lerne nicht.“
„Es muss heißen: Ich habe einen Mann gefunden, der kochen kann“.
„Danke.“
„Und Ihr Mann, ist er – ist er nicht mitgekommen?“
„Er ist getötet“, sagte sie trocken. „Exekutiert. Von Taliban.“
„Das tut mir leid!“
Ein unbehagliches Schweigen entstand, in dem nur das Geräusch der Gemüse schneidenden Messer zu hören war.
„Verzeihen Sie“, sagte Mautner auf Französisch. „Es gibt nie die angemessenen Worte. Glauben Sie mir, ich versuche zu verstehen, was das für Sie bedeutet.“
„Versuchen Sie es nicht“, sagte sie, nun ebenfalls auf Französisch.
Mautner senkte den Kopf und nickte.
Nur wenig weicher setzte sie fort: „Niemand kann verstehen, wie es ist, jemanden auf diese Art zu verlieren. Zu wissen, in einer Woche ist es so weit. In drei Tagen ist es so weit. Morgen ist es so weit.“
Die Messer hackten durch die Minuten, eines schnell, eines langsam und mühsam.
„Es ist gut, dass Sie nichts sagen“, sagte Frau Saberi. „Zermartern Sie sich nicht den Kopf nach den richtigen Worten, es gibt sie nicht, wie Sie selbst sagten. Mein Mann wurde hingerichtet, weil er Kommunist war. Er war Kommunist, aber er hatte gegen die sowjetische Besatzung protestiert. Darum haben ihn die eigenen Leute eingesperrt. Auch mich haben sie eingesperrt. Ich war nie Kommunistin, aber ich hatte ihren Umsturz zuerst begrüßt. Sie haben die Gleichberechtigung der Frauen auf allen Gebieten gefordert. Sie haben den Kleinbauern Land gegeben und ihre Schulden erlassen. Aber sie haben das Land an die Russen verkauft. Sie haben viele gute Professoren von der Universität vertrieben oder umgebracht. Stattdessen sind immer mehr Russen gekommen. Dagegen haben wir protestiert. Ich war zwei Jahre eingesperrt. Mein Mann vier Jahre. Wir haben uns kennengelernt nachdem wir beide aus dem Gefängnis gekommen waren. Wir sind nach Pakistan gegangen wie so viele. Es war zu gefährlich in Kabul und wir hätten auch keine Arbeit gefunden. Ich wurde Dozentin am Law College von Peshawar. Er war Arzt und hat in einem Spital Arbeit gefunden. Wir haben auch eine Tochter bekommen, kurz vor meiner Habilitation. Als die Russen verjagt waren und die Mujahedin Najibullah entmachtet hatten, sind wir zurückgekehrt. Viele andere sind geflohen. Wir sind zurückgekehrt, weil wir dachten, wir könnten etwas für die Demokratie tun. Aber in den Kämpfen zwischen den Warlords war alles, was man tun konnte, sich verstecken und den Kopf unten halten. Die Taliban waren schneller da, als wir gedacht hatten, und zu ihren ersten Opfern hat mein Mann gehört. Als es vorbei war, bin ich mit unserer Tochter zu meiner Familie in die Berge gegangen. Ich bin vom Volk der Hazara, und die Taliban, als Paschtunen, haben uns gehasst. Als sie Hazarajat erobert hatten, bin ich nach Norwegen geflohen. Ich hatte dort Verbindungen von der Universität her. Zwei Jahre später wurde in Peshawar mit norwegischer Hilfe ein Zentrum für Menschrechtsstudien eingerichtet und ich habe dort wieder zu arbeiten begonnen. Nach dem Sturz der Taliban bin ich zum zweiten Mal zuirückgekehrt. Ich habe Arbeit an der Universität Kabul gefunden.“
Sie
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