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Flusskrebse: Roman (German Edition)

Flusskrebse: Roman (German Edition)

Titel: Flusskrebse: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Auer
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Spezies gehören und es gibt Kampf zwischen der Mutter und ihrem ungeborenen Baby, so unglaublich Ihnen das scheinen mag. Wenn wir diese Verhaltensweisen verstehen wollen, müssen wir uns ansehen, wie sie entstehen. Wir wissen ja, dass es beim Menschen Zusammenarbeit und Kampf gibt. Aber wir wollen wissen, was davon sozusagen das Natürliche ist, oder vielleicht Regeln entdecken, wann Menschen zur Zusammenarbeit bereit sind und wann zum Kämpfen.“
    „Kampf zwischen Mutter und ungeborenem Baby?“ unterbrach Juvénal ungläubig.
    „Ja, das kann es geben. Es ist so: Normalerweise sorgen die Hormone der Mutter dafür, dass der Fötus, also das Ungeborene, nicht abgestoßen wird. Der Fötus ist ja eigentlich ein Fremdkörper, er hat eine fremde DNA, und das Immunsystem sollte versuchen, ihn loszuwerden. Die Hormone der Mutter verhindern das. Aber wenn der Fötus missgebildet und nicht lebensfähig ist, reagiert das Hormonsystem und lässt zu, dass der Fötus abgestoßen wird. Ein abgestorbener Fötus wäre ja eine Gefahr für das Leben der Frau. Aber wann wird ein Fötus abgestoßen, wie krank darf er sein? Mütter, deren Gebärmutter einen kranken Fötus schnell abstößt, haben mehr gesunde Kinder, weil sie früher wieder schwanger werden können. Aber Föten, die sich gegen das Abgestoßenwerden wehren, haben immer noch bessere Überlebenschancen als die, die sich nicht wehren. Also bilden Föten Hormone, die das Hormonsystem der Mutter beeinflussen und verhindern sollen, dass sie abgestoßen werden.“
    Juvénal schüttelte den Kopf: „Ich versuche mir das vorzustellen. Kampf im Mutterleib. Hormone als Waffen. Das ist unglaublich. Man müsste ein Shakespeare sein, um so ein Drama zu beschreiben. Aber ich weiß ein Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Spezies. Das ist genau so wunderbar: Bei uns zu Hause gab es einen kleinen Vogel. Wir nannten ihn Honigzeiger. Er ruft laut, so als ob er auf sich aufmerksam machen möchte. So lange, bis man ihm nachfolgt. Und wenn man stehenbleibt, dann fliegt er ein Stück in eine bestimmte Richtung und kommt wieder. Und so lockt er einen zu einem Bienennest, und wartet, dass man es aufbricht, damit er die Maden und das Wachs fressen kann. Denn selber kommt er da nicht dran. Er hilft uns Honig zu finden, damit er die Maden bekommt. Es gibt auch ein Tier, das wir Honigdachs nennen. Der Honigzeiger führt auch den Honigdachs zu den Bienennestern, denn der liebt den Honig so wie wir Menschen. Der Dachs bricht das Nest auf und frisst den Honig, und der Vogel das Wachs und die Maden. Ich habe das früher für eins von den Märchen gehalten, die mein Vater so gern erzählt hat, aber einmal habe ich es wirklich gesehen. Haben Sie so etwas gemeint?“
    Mautner musste lächeln. „Ja, da gibt es viele Beispiele: Ameisen und Blattläuse, Raubfische und Putzerfische und so weiter.“
    „Ich glaube, wir sollten den Professor einmal reden lassen!“ sagte Patrice. „Sagen Sie uns doch, wo würden Sie anfangen mit Ihren Überlegungen?“
    „Ich bin kein Professor. Ich bin nur – egal. Wir wollen über die Evolutionstheorie sprechen, nicht wahr? Sehen Sie, die Evolutionstheorie ist eine Theorie des Werdens, eine Theorie der Entwicklung. Sie zeigt uns, wie aus vielen zufälligen Veränderungen dennoch kein Chaos entsteht, sondern sinnvolle Ordnung. Aber sie ist mehr. Für mich jedenfalls. Mir erscheint die Geschichte der Evolution als ein gewaltiges Epos, eine wundersame, großartige Erzählung vom Werden der Dinge, von rätselhaften Beziehungen, von unglaublichen Verwandlungen und seltsamen Verstrickungen. Aber die Schönheit dieser Erzählung erschließt sich nicht so leicht. Auch von Mathematikern habe ich gehört, dass ihnen die gewagten Gedankengebäude ihrer Wissenschaft wie eine ungeheure Symphonie erscheinen. Aber diese Symphonie hört nur, wer sich Schritt für Schritt durch Formeln und Regeln durcharbeitet.
    Leider ist diese Erzählung vom Werden auf viele ganz unterschiedliche Bücher verteilt, und keines ist in einer so wunderbaren Sprache geschrieben wie die Schöpfungsgeschichte der Bibel. ‚Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.’ Das ist so schön, wie es einfach ist, und ein Kind kann es verstehen. Mir hat sich die Schönheit der wissenschaftlichen Schöpfungsgeschichte zum ersten Mal erschlossen, als ich die Werke von Jean-Henri Fabre las. Ich habe Juvénal davon erzählt. Dabei war Fabre ein Gegner von Darwins Theorie, wenn er Darwin als

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