Flusskrebse: Roman (German Edition)
Doch sie legte ihre rechte Hand auf die Brust und verbeugte sich leicht. Mautner tat es ihr zögernd nach. Sie legte den Kopf etwas zur Seite und sagte auf Französisch: „Verzeihen Sie. Ich bin etwas altmodisch. Ich wollte Sie nicht kränken.“
„Nein, nein, keine Ursache, Sie haben Ihre Vorschriften.“
„Eigentlich gibt es keine Vorschrift, die mir verbietet, einem Mann die Hand zu schütteln. Es ist pure Gewohnheit.“
„Sie wollen hier übernachten? Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, brauchen Sie etwas?“
„Vielen Dank, wir haben uns schon eingerichtet.“
Juvénal berichtete, dass die beiden die Wohnung am anderen Ende des Ganges in Beschlag genommen hätten.
„Nua paa Tage“ sagte Frau Zhao auf Deutsch mit dickem chinesischen Akzent, aber nur selten L und R verwechselnd. „Paa Tage Geld vadienen und nächste Monat wohnen Caritas wieda.“
„Ja, können Sie denn Geld verdienen? Haben Sie Arbeit?“
„Ja, vadienen. Vakaufen CD, DVD in Lestaurant. Letzte Woche ich habe Probrem. Polizei nehmen meine Ware, sagen, daaf nicht vakaufen. Alles nehmen, CD, DVD, Feuazeug. Kost zweihundert Euro alles. Und muss Stlafe zahlen auch, 300 Euro.“ Sie lachte. „Caritas wohnen - 200 Euro in Monat. Kann ich diese Monat nicht zahlen. Nächste Monat zahlen.“
Juvénal versuchte sich in der deutschen Sprache: „Wollen Sie CDs kaufen? Lieben Sie Musik? Yin Ling hat alles. Sie verkauft billig.“
„Naa, nix kaufen! Ich schenken. Muss neue Ware holen, dann schenken CD. Diese Monat kann nix kaufen Ware, muss nehmen Kredit. Macht nix. Nua wenig Ware nehmen. Dann vakaufen und kann wieda bezahlen. Weil Kredit is teua!“ Sie lachte wieder.
„Sind Sie schon lange hier?“
„Ja, ja, schon lange. Via Jahre. Ich verkaufen, schicken Geld heim zu meine Mann.“
„Vier Jahre haben Sie Ihren Mann nicht gesehen?“
„Ja, ja, nix gesehen. Und meine Kind, meine Tochta. Schon via Jahre! Nur telefonieren, Intanet, schicken Foto. Meine Mann auch aabeit. Und sparen. Kaufen Aktien. Jaa, kaufen Aktien, aba jetzt – Klise, und weg. Alles. Aktie nua Papia jetzt.“
Frau Zhao erzählte das alles wie eine amüsante Anekdote, mit viel Lachen und Achselzucken. „So, jetzt essen machen!“ sagte sie.
„Ich habe für die beiden eine Glühbirne beschafft und einen kleinen elektrischen Kocher“, sagte Juvénal. „Es sind doch Frauen. Aber ich habe ihnen gesagt, dass sie nur wenig Strom verbrauchen dürfen, damit es nicht auffällt. Ich habe die Sicherungen überbrückt.“
Frau Zhao merkte, worüber er sprach. „Das gute Junge! Ich füa ihn auch Essen kochen Und seine Fleund!“ Sie hielt einen Nylonbeutel mit mehreren Päckchen chinesischer Nudelsuppe hoch. Dann nahm sie Frau Professor Saberi an der Hand und zog sie zur Eingangstür: „Komm essen!“ Und zu Mautner sagte sie: „Das meine Mama. Wia wohnen zusammen Caritas. Das gute Flau. Lesen viel Bücha. Aba kochen nix!“ Und sie lachte wieder.
Die beiden Frauen verschwanden hinter der Tür zu der Wohnstatt, die sie sich in dem verfallenden Haus auserkoren hatten.
„Yin Ling ist sehr nett!“ sagte Juvénal. „Sie lacht immer. Dabei hat sie es nicht leicht. In unserem Kurs ist sie die fröhlichste. Da gibt es Frauen, denen man ansieht, dass sie jeden Tag weinen. Und Männer, die ein Gesicht wie aus Stein haben. Aber sie lacht immer. Hätten Sie gedacht, dass sie schon über 40 ist? Sie sieht so jung aus!“
Mautner schaute ihn prüfend an. Juvénal lachte verlegen. „Ich weiß, was Sie denken. Nein, nein, ich bewundere nur ihre Stärke. Aber es gibt im Kurs einige Männer, die gerne mit ihr zusammen sein möchten. Aber sie hat für die gar nichts übrig.“
„Und diese andere Frau? Das ist eine Professorin?“
„Ja, sie hat an der Universität in Kabul unterrichtet, Rechtswissenschaften, glaube ich. Und sie ist lange im Gefängnis gewesen.“
„Sie spricht sehr gut Französisch.“
„Ja, sie spricht viele Sprachen. Mit unserer Lehrerin spricht sie oft Russisch. Aber sie kann auch Englisch.“
Mautner verabschiedete sich und wollte nach oben gehen, als die kleine Chinesin wieder aus der Tür kam: „Sie auch essen kommen!“
„Nein danke, ich werde später bei mir etwas essen!“
Frau Zhao lachte und nahm ihn an der Hand: „Sie kommen essen. Sie gute Fleund!“
Mautner ließ sich in die aufgelassene Wohnung ziehen. Zwischen zwei Zimmern war eine Wand herausgerissen, aber der Fußboden war größtenteils noch intakt. Zwei Koffer standen da und
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