Flut: Roman (German Edition)
graue Linie im Westen, die nur manchmal zwischen den Regenschleiern sichtbar wurde.
»Das da hinten scheint die Autobahn zu sein«, sagte er. Als sie nicht antwortete, sah er sie kurz und fragend an, aber Rachel konnte auch jetzt nur mit einem Achselzucken darauf reagieren.
Sie hatte vollkommen die Orientierung verloren, was sicher zum Teil an der schlechten Sicht und der ungewohnten Perspektive lag, zum allergrößten Teil aber an ihrer Aufregung.
»Wir brauchen einen Landeplatz irgendwo in der Nähe«, sagte Benedikt. »Irgendetwas Unauffälliges.«
Rachel konnte auch darauf nur mit einem hilflosen Achselzucken antworten. Von hier oben sah alles so fremd aus … sie hätte genauso gut auf einem anderen Kontinent sein können, oder gleich auf einem fremden Planeten.
Benedikt wartete für einen Moment vergeblich auf eine Antwort, dann ging er ein wenig tiefer, schüttelte gleich darauf den Kopf, so, als führe er eine Art innerer Diskussion mit sich selbst, und ließ den Helikopter dann wieder ein gutes Stück in die Höhe steigen.
Ein kurzlebiger weißer Blitz zerteilte das Firmament über ihnen und erlosch, lange bevor er der Erde auch nur nahe kommen konnte. Kein dünn verästeltes Gespinst, das so grell war, dass man kaum mit bloßem Auge hineinsehen konnte, sondern eine wie mit dem Lineal gezogene, jäh endende Linie aus mildem Weiß; die Spur eines der zahllosen Meteore, mit denen das Universum die Erde seit drei Wochen bombardierte. Allerdings hatte sie bisher keinen gesehen, der so nahe gekommen war, dass man seine Explosion in der Atmosphäre tatsächlich beobachten konnte. Das musste einer der größeren Brocken gewesen sein, von denen in den Nachrichten gesprochen wurde.
»Dort hinten scheint eine Raststätte oder so etwas zu sein.« Benedikt deutete auf einen verschwommenen Fleck, der seitlich an die nicht minder verschwommene Linie angeklebt war, die die Autobahn darstellte. Die Betonung, mit der er die Worte aussprach, machte sie zu einer Frage.
Rachel beugte sich gehorsam vor, sah eine Minute lang angestrengt in die gleiche Richtung wie er und kramte zugleich in ihrem Gedächtnis – und dann erkannte sie die große restaurierte Windmühle auf dem Gelände und wusste, wo sie waren. Nur, dass es keinen Sinn ergab. »Das ist Geissmühle«, sagte sie verwirrt. Eine Sekunde lang fühlte sie sich noch hilfloser als zuvor. Sie hatte gedacht, dass sie nach Süden flogen, die Richtung, in der sie die Stadt verlassen hatten, aber sie mussten sich in die genau entgegengesetzte Richtung bewegt haben. Geissmühle lag ein gutes Stück weiter nördlich, schon fast an der holländischen Grenze.
»Und?«, erkundigte sich Benedikt.
Rachel warf ihm einen verwirrten Blick zu, aber sie schluckte die Frage herunter, die ihr auf der Zunge lag, und machte stattdessen eine wedelnde Handbewegung in Richtung der näher kommenden Tankstelle. »Da ist ein alter Autofriedhof«, sagte sie nachdenklich. »Anderthalb oder vielleicht zwei Kilometer weiter nach Norden. Ein perfekter Platz, um den Hubschrauber zu verstecken.«
Benedikt wirkte ein bisschen überrascht. »Du würdest eine gute Terroristin abgeben«, sagte er anerkennend. »Bist du sicher, dass er nicht mehr in Betrieb ist?«
»Früher habe ich dort meine Ersatzteile gekauft«, bestätigte Rachel. Fast verlegen fügte sie hinzu: »Als ich noch studiert habe und mit dem Pfennig rechnen musste. Aber vor anderthalb oder zwei Jahren haben ihn die Behörden geschlossen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Besitzer es mit dem Umweltschutz offenbar nicht ganz so genau genommen hat.« Sie hob die Schultern. »Es war wohl mehr Öl im Boden als in den entsprechenden Auffangbehältern. Seitdem streiten sich die verschiedenen Ämter darüber, wer das ganze Zeug jetzt entsorgt.«
»Perfekt«, lobte Benedikt. »Zwei Kilometer, sagst du?«
»Direkt neben der Autobahn«, bestätigte sie.
Der Helikopter verlor erneut an Höhe und wurde gleichzeitig langsamer. Benedikt flog einen weiten Bogen, um mit der gestohlenen Maschine nicht direkt über die Autobahnraststätte hinweg zu donnern, aber natürlich wurden sie trotzdem gesehen. Sie passierten zwei oder drei zwar nur schwach, aber dennoch befahrene Straßen und flogen über einen kleinen Ort, der nur aus einer Hand voll Häusern und einem einzeln stehenden Bahnhof bestand. Selbst wenn niemand sofort anrief, um sich über den verboten niedrig fliegenden Helikopter zu beschweren, hinterließen sie doch eine Spur, die
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