Flut: Roman (German Edition)
sie eisern fest. Der Druck, den seine Daumen auf ihre Handgelenke auslösten, war fast unerträglich, aber es war ein Schmerz von einer Art, wie sie ihn noch nie zuvor gespürt hatte: schlimm, aber zugleich auch so, dass sie spürte, wie gut er war.
»Kein Quatsch«, behauptete Benedikt. »Oder doch, sicher. Ich schätze, es war einer von diesen Eismeteoriten. Sie kommen die ganze Zeit runter, weißt du, aber die Behörden versuchen es zu verschweigen, damit keine Panik ausbricht. So simpel ist die Erklärung.« Er machte ein Geräusch, das fast wie ein Lachen klang, aber keines war. »Aber das ändert nichts, nicht wahr? Ich meine, ich könnte es dir beweisen, dir einen Videofilm vorspielen oder dich mit dem besten Meteorologen der Welt sprechen lassen und du würdest immer noch glauben, dass es deine Schuld war. Beiß die Zähne zusammen.«
Rachel sah ihn nur verständnislos an, und noch bevor sie fragen konnte, wie seine letzten Worte gemeint waren, tat er etwas, das nun wirklich grässlich wehtat. Rachel warf sich mit einem Schrei zurück, riss ihre Hände los …
... und der Schmerz war verschwunden. Ihre Handgelenke kribbelten, als wären sie eingeschlafen, aber der pochende Schmerz, der sie jetzt seit Stunden quälte, war nicht mehr da. Und irgendwie spürte sie auch, dass er nicht mehr wiederkommen würde.
»Was … was hast du gemacht?«, murmelte sie verwirrt.
Benedikt grinste breit. »Ein Wunder. Ich bin nämlich ein Hexer, weißt du? Ich wollte es einfach … ich meine, es könnte natürlich auch sein, dass ich einen schlichten chiropraktischen Griff angewendet habe oder etwas, das ich vom letzten Schamanen eines vergessenen Indianerstamms am Amazonas gelernt habe – aber wie ich dich kenne, ziehst du die unwahrscheinlichste Lösung vor. Also war es ein Wunder.«
Rachel starrte ihn wütend an, aber Benedikt sprach nicht weiter, sondern drehte sich im Sitz herum und blickte wieder nach vorne. Nach einem Moment sagte er: »Sie sind da.«
Rachel folgte seinem Blick. Im ersten Moment sah sie auch weiterhin nichts als ineinander fließende Grün- und Braunschattierungen und die bizarren Muster, die der Regen auf das Plexiglas der Kanzel malte, aber dann erkannte sie, dass einer der Schatten dort draußen zu kantig war, um nicht von Menschenhand geschaffen worden zu sein. Sie strengte ihre Augen an und Benedikt schaltete hastig die Scheibenwischer ein; sie waren hoffnungslos damit überfordert, die Wassermassen zu bändigen, die über das gewölbte Kanzeldach in die Tiefe stürzten, aber immerhin sah sie jetzt, dass es sich bei dem näher kommenden Fahrzeug um einen großen Geländewagen handelte. Eines jener schweren, hochbeinigen Offroad-Fahrzeuge mit grobstolligen Reifen und Vierradantrieb, die seit ein paar Wochen eine ungeahnte Konjunktur erlebten. Es war die einzige Art von Fahrzeug – von einem Panzer vielleicht einmal abgesehen –, die in diesem Gelände und bei dieser Witterung überhaupt eine Chance hatten, von der Stelle zu kommen.
»Deine Freunde?«, murmelte sie.
Benedikt nickte stumm. Seine Hand legte sich auf den Steuerknüppel des Hubschraubers und umschloss das schwarze Plastik mit solcher Kraft, dass seine Fingernägel weiß wurden.
»Dann wäre jetzt vielleicht der passende Moment, um mich an diesen Film zu erinnern«, sagte sie nervös. Sie hob die Schultern. »Oder ein Taxi zu rufen.«
»Einen Moment noch.«
»Sicher.« Rachel zuckte mit den Schultern. »Wir haben Zeit. Jede Menge. Und ich habe im Moment sowieso nichts Besseres zu tun. Verrätst du mir auch, worauf wir warten?«
Benedikt schwieg, aber die Antwort auf ihre Frage tauchte schon im nächsten Augenblick in Gestalt eines zweiten, womöglich noch größeren Geländewagens zwischen den Bäumen auf, der sich exakt in der Spur des ersten hielt, aber entweder keinen so guten Fahrer oder ein schlechteres Fahrwerk hatte, denn er schaukelte so wild hin und her, dass es Rachel nicht überrascht hätte, wenn er sich im nächsten Augenblick überschlagen hätte.
Sie konnte nicht erkennen, wie viele Männer sich in den Wagen befanden, aber beide zusammen mussten gut und gerne Platz für zwölf bis vierzehn Insassen bieten. Benedikts Freunde liebten es offensichtlich, in Kompaniestärke aufzutreten.
»Halt dich fest«, sagte Benedikt. »Es könnte ein bisschen holperig werden.«
Die Maschine schoss ebenso warnungslos wie das erste Mal in die Höhe, hielt jedoch diesmal nicht einen Meter über dem Boden an, um wie ein
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